Bürgerentscheide
Ein Bürgerentscheid ist ein Instrument der direkten Demokratie auf kommunaler Ebene, also in den Landkreisen und Gemeinden. Er kann entweder dazu dienen, etwas zu erreichen, womit sich die Gemeindevertretung – in Kiel die Ratsversammlung - oder der Kreistag noch nicht befasst hat, oder etwas zu verhindern, was dort bereits beschlossen wurde.
Allgemeines
Zwischen 1956 (Baden-Württemberg) und 2005 (Berlin) wurden in allen Bundesländern durch Landesgesetzgebung Bürgerentscheide eingeführt. In Schleswig-Holstein geschah dies 1990; die Regelungen wurden seither mehrfach verändert.
Entsprechende Instrumente gibt es auch auf Landes- und Bundesebene, sie werden dann als Volksentscheide oder Volksabstimmungen bezeichnet.
Verfahren in Schleswig-Holstein
Das Verfahren ist in der schleswig-holsteinischen Kreis- (§ 16f) bzw. Gemeindeordnung (§ 16g) festgelegt. Es ist stets zweistufig: Einem Bürgerentscheid geht meist ein Bürgerbegehren voraus. Das Bürgerentscheid kann aber auch durch die Gemeindevertretung eingeleitet werden, indem sie beschließt, eine anstehende Entscheidung an die Bürger zu delegieren.
Bürgerbegehren
Ein Bürgerbegehren ist eine Forderung an die Gemeinde oder den Kreis, einen Bürgerentscheid zu einer konkret formulierten Frage durchzuführen. Es handelt sich dabei um eine Unterschriftensammlung, die im Lauf von sechs Monaten von einer festgelegten Zahl an Wahlberechtigten unterschrieben sein muss. Der Anteil der Personen, welche die Forderung unterstützen müssen, unterscheidet sich nach der Größe der Gemeinde; in Kiel (über 100 000 Einwohner) sind es 5 % der Stimmberechtigten, bei Fragen zur Bauleitplanung 7,5 %.
Bürgerentscheid
Ein Bürgerentscheid ist eine Abstimmung, bei welcher die Wahlberechtigten die Fragestellung des Bürgerbegehrens mit Ja oder Nein beantworten.
Nach einem erfolgreichen Bürgerbegehren kann die Gemeindevertretung dem dort vorgebrachten Ansinnen entsprechen, indem sie im Sinne des Bürgerbegehrens beschließt. In diesem Fall erübrigt sich der Bürgerentscheid.
Lehnt die Gemeindevertretung dies ab, so muss die Gemeinde binnen drei Monaten einen Bürgerentscheid mit der Fragestellung des Bürgerbegehrens durchführen. Für die Durchführung der Abstimmung gelten die gleichen Regeln wie bei einer Kommunalwahl (stets an einem Sonntag, Stimmzettel, öffentliche Auszählung usw.). Daher werden Bürgerentscheide wenn möglich an Wahltagen neben einer ohnehin anstehenden Bundes-, Landtags- oder Kommunalwahl durchgeführt.
Beim Bürgerentscheid ist für den Erfolg nicht nur die Mehrheit der Stimmen maßgeblich. Die Anzahl der Ja-Stimmen muss überdies (in Kiel aufgrund seiner Einwohnerzahl) mehr als 10 % der Stimmberechtigten betragen, bei Fragen zur Bauleitplanung 15 %. Eine solche Mindestzahl, die für die Gültigkeit einer Abstimmung erforderlich ist, wird als (Zustimmungs)quorum bezeichnet.
Sowohl beim Bürgerbegehren als auch beim Bürgerentscheid sind alle Personen unterschrifts- bzw. stimmberechtigt, die das kommunale Wahlrecht besitzen, also alle in der Gemeinde wohnenden Deutschen sowie Bürger anderer EU-Staaten, sofern sie mindestens 16 Jahre alt sind. Eine ausführliche Beschreibung des Verfahrens findet sich unter den Weblinks.
Volks- und Bürgerentscheide in Kiel
In der Vergangenheit fanden in Kiel zwei Volks- und drei Bürgerentscheide statt, einem weiteren Bürgerbegehren wurde von der Ratsversammlung entsprochen, so dass es nicht zu einem Bürgerentscheid kam:[1]
- 30. November 1997, Volksentscheid „Erhalt des Buß- und Bettages“:
Der Buß- und Bettag war 1994 zur Finanzierung der Pflegeversicherung bundesweit als gesetzlicher Feiertag abgeschafft worden. Die Nordelbische Kirche hatte mit einem erfolgreichen Volksbegehren einen Volksentscheid für die Wiedereinführung angeschoben. Bei zwei Dritteln der abgegebenen Stimmzettel war das Ja angekreuzt. Aber das erforderliche Quorum von 25 % der Wahlberechtigten wurde nicht erreicht. Denn aufgrund der geringen Wahlbeteiligung von nur 29,3 % waren dies nur 19,9 % der Wahlberechtigten. - 27. September 1998 (Tag der Bundestagswahl), Volksentscheid „WIR gegen die Rechtschreibreform“:
Die im Sommer 1996 verkündete Reform der deutschen Rechtschreibung hatte schon vor ihrem Inkrafttreten zum 1. August 1998 in ganzen Deutschland zu erbitterten Diskussionen geführt. Eine Volksinitiative hatte in Schleswig-Holstein einen Volksentscheid für die Fortgeltung der herkömmlichen Rechtschreibung in den Schulen initiiert, der acht Wochen nach deren Inkrafttreten stattfand. 56,4 % der Abstimmenden votierten für die Beibehaltung der alten Rechtschreibung an den Schulen. Das waren 41,6 % der Wahlberechtigten, womit das Quorum von 25 % deutlich überschritten war.
Die durch den Volksentscheid erfolgte Änderung des Schulgesetzes wurde allerdings am 17. September des Folgejahres durch den Landtag wieder rückgängig gemacht. - 23. März 2014 (Tag der Oberbürgermeisterwahl), „Ja für die grüne Lunge am Westring“:
Seit dem Sommer 2011 wurde die Ansiedlung der Firma Möbel-Kraft auf dem letzten verbliebenen Kleingartengelände am Westring diskutiert. Es bildete sich eine Front von Gegnern dieses Vorhabens, welche stattdessen die Kleingärten erhalten wollten. Eine daraus erwachsene Initiative initiierte die Bürgerentscheidung, die taggenau zwei Jahre nach dem Verkauf des Geländes an die Firma Krieger stattfand. Die Abstimmungsbeteiligung betrug 45,7 %, die Ablehnungsquote 52,5 %. Damit hatte die Abstimmungsfrage: "Soll die Planung für ein Möbelmarkt-Zentrum auf dem Kleingartengelände Prüner Schlag / Brunsrade am Westring eingestellt und somit der Beschluss der Kieler Ratsversammlung zur Aufstellung des Bebauungsplanes Nummer 988 aufgehoben werden?“ keine Mehrheit gefunden.[2] - 29. November 2015, Olympische Spiele 2024 in Hamburg und Kiel:
Dieser Bürgerentscheid war von der Ratsversammlung veranlasst worden. Die Abstimmungsbeteiligung betrug 31,7 %, die Zustimmung 65,6 %. Das Quorum von 10 % war damit weit überschritten und die Abstimmungsfrage: „Sind Sie dafür, dass sich die Landeshauptstadt Kiel im Rahmen der Bewerbung des Deutschen Olympischen Sportbundes und der Freien und Hansestadt Hamburg um die Ausrichtung der Olympischen und ggf. Paralympischen Segelwettbewerbe im Jahr 2024 bewirbt?“ hatte eine gültige Mehrheit gefunden. Das positive Ergebnis war jedoch gegenstandslos, nachdem sich die Hamburger Bevölkerung zeitgleich mit einer Ablehnungsquote von 51,7 % gegen eine Olympiabewerbung ausgesprochen hatte.[3] - 15. Oktober 2016 (Sitzung der Ratsversammlung): Katzheide JA!
Nachdem fünf Jahre lang über die Schließung des Freibades Katzheide diskutiert worden war, hatte sich im Frühjahr 2015 der Verein „Katzheide JA!“ gegründet und in kurzer Zeit die notwendigen Unterschriften für ein Bürgerbegehren mit der Fragestellung „Sind Sie für den Erhalt des Schwimmbades Katzheide?“ gesammelt. Die Ratsversammlung stimmte vor diesem Hintergrund dem Ansinnen zu, so dass kein Bürgerentscheid mehr durchgeführt wurde.[4] - 6. Mai 2018 (Tag der Kommunalwahl), Flughafen Holtenau:
Die Initiative „Wir machen Stadt“ trat dafür ein, den Flughafen Holtenau zu schließen. Die Abstimmungsbeteiligung betrug 45,5 %, die Ablehnungsquote 71,3 %.
Damit hatte die Abstimmungsfrage: „Sind Sie dafür, dass der Verkehrslandeplatz Holtenau geschlossen und stattdessen auf dem Gelände ein neuer mischgenutzter Stadtteil mit weitest möglich kommunalem und gemeinnützigem Wohnungsbau und Gewerbe entwickelt wird?“ keine Mehrheit.[5]
Weblinks
- Bürgerbegehren bei www.mehr-demokratie.de, abgerufen am 14. Mai 2025
- § 16g Gemeindeordnung Schleswig-Holstein bei sh.juris.de, abgerufen am 14. Mai 2025
Einzelnachweise
- ↑ "Es wäre nicht das erste Bürgervotum"; Artikel in den Kieler Nachrichten vom 14. Mai 2025, online bei kn-online.de (Bezahlschranke)
- ↑ „Gläserne Akte“ bei www kiel.de, abgerufen am 14. Mai 2025
- ↑ Statistischer Bericht Nr. 242 bei www.kiel.de, abgerufen am 14. Mai 2025
- ↑ Beschluss der Ratsversammlung (Protokollauszug) bei www.kiel.de, abgerufen am 14. Mai 2025
- ↑ Statistischer Bericht Nr. 256 bei www.kiel.de, abgerufen am 14. Mai 2025