Maro Temm

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Maro Temm ist der Name eines Wohnprojekts für Angehörige der nationalen Minderheit der Sinti. Es handelt sich um eine Reihenhaussiedlung für 13 Familien, die nach einer rund zehnjährigen Vorbereitungs- und Bauphase im Dezember 2007 bezogen werden konnte.[1]

Sinti und Roma[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Begriff[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Als Sinti und Roma werden in Deutschland die Angehörigen einer ethnischen Minderheit bezeichnet, die früher abwertend und mit rassistischem Unterton Zigeuner genannt wurden. Dabei bezieht sich Sinti (Einzahl: männl. Sinto, weibl. Sintiza oder Sinta) auf diejenigen, deren Familien bereits seit dem Mittelalter in Mitteleuropa ansässig sind, Roma (männl. Rom, weibl. Romna) auf solche ost- oder südosteuropischer Herkunft.[2]

Antiziganismus[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wegen ihrer eigenen Sprache (Romanes) und ihrer kulturellen Unterschiedlichkeit wurden sie über Jahrhunderte ausgegrenzt und diskriminiert. Diese Ablehnungshaltung wird als Antiziganismus bezeichnet. Er führte dazu, dass Sinti und Roma meist ohne festen Wohnsitz umherreisten, ihren Lebensunterhalt häufig als Kleinhändler, Schausteller oder mit handwerlichen Dienstleistungen bestritten und generell in prekären Verhältnissen lebten.

In Deutschland gipfelte die Ausgrenzung ab 1933 in der nationalsozialistischen Verfolgung mit dem Verlust der Staatsbürgerschaft und der Heranziehung zur Zwangsarbeit. Ab 1940 schloss sich der gezielte Völkermord (auf Romanes: Porajmos) in den Konzentrationslagern an.

Nach dem Zweiten Weltkrieg knüpften die bundesrepublikanische Gesetzgebung und Verwaltung bis in die 1980er-Jahre an die rassistisch-diskriminierende Sichtweise an. So wurden Sinti und Roma Entschädigungen für nationalsozialistisches Unrecht verwehrt, weil die "die Inhaftierung und Ermordung nicht aus rassischen Gründen, sondern als kriminalpräventive Maßnahme stattgefunden" habe.

Wohnsituation der Sinti und Roma in Kiel nach dem Krieg[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wohnlager am Kuckucksweg, 1972

Kieler Sinti und Roma ohne langjährigen festen Wohnsitz in der Stadt, insbesondere Rückkehrer, die den Porajmos überlebt hatten, wurden ab 1946 zunächst im bereits 1939 eingerichteten "Asozialenlager" in der Preetzer Straße 119 untergebracht. Das Lager befand sich am heutigen Platz der Coventryhalle, der daneben stehenden Tennishalle und der Rollschuhbahn. Dort lebten sie unter menschenunwürdigen Bedingungen in unzureichenden Notbehausungen ohne Toiletten und Waschgelegenheiten und unter ständiger Überwachung durch einen "Feldwachtmeister", der auch Razzien vornahm. In der Verwaltung und der Öffentlichkeit wurden die "Zigeuner" als die Urheber der Zustände im Lager betrachtet

Diese Situation währte bis in die frühen 1960er-Jahre. Mit der schrittweisen Auflösung der Kieler Flüchtlingslager wurden die in der Preetzer Straße untergebrachten Sinti und Roma in das neu geschaffene Lager am Kuckucksweg umgesiedelt. Dort hatte die Stadt statt Baracken 30 ausrangierte Eisenbahnwaggons als "Zigeunerlager" aufgestellt. Die Wohnsituation verbesserte sich dadurch nicht nennenswert; es gab nach wie vor keine Toiletten, sondern nur in den Boden gegrabene Löcher, und die Wasserleitungen froren im Winter regelmäßig ein.

1974 siedelte die Stadt 15 Familien aus dem Lager in Reihenhaus-Schlichtwohnungen in drei verschiedenen Stadtteilen um. Dort gab es zum Teil bis in die 1990er-Jahre rassistische Angriffe gegen die neuen Nachbarn. Erst 1995 verließen die letzten beiden Familien das Lager am Kuckucksweg.

Wohnprojekt[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Wohnsiedlung befindet sich am Ende der Diedrichstraße und umfasst dort die Hausnummern 33-57. Mit den im Dezember 2007 fertig gestellten 13 Reihenhäusern bietet sie ebenso vielen Sinti-Familien eine günstige Mietwohnung. Die gesamte Wohnfläche beträgt 1244 m². Die rund 50 Bewohner verteilen sich auf alle Altersstufen.

Träger des genossenschaftlichen Wohnprojekts ist der Landesverband Schleswig-Holstein im Verband Deutscher Sinti und Roma e. V. Die Baukosten betrugen knapp 2 Millionen Euro. Der Bau wurde durch die Soziale Wohnraumförderung des Landes Schleswig Holstein und kommunale Darlehen gefördert.

Sinti und Nicht-Sinti trugen beim Bau und tragen jetzt beim Betrieb der Siedlung die Verantwortung gemeinsam. Das macht das Projekt zu einem europaweit einzigartigen Modell.

Geschichte des Projekts[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Maro Temm ist Romanes und bedeutet "Unser Platz".

Für Sinti und Roma sowie deren Nachbarn hatte sich die Unterbringung in Etagenwohnungen und geschlossenen Wohnblocks als ungünstig erwiesen. So entstand um 1997 die Idee, einen Komplex aus ebenerdigen Häusern mit großen Gemeinschaftsflächen und Platz für Gewerbe zu errichten. Dieser sollte von der öffentlichen Hand finanziert und von einer selbstverwalteten Genossenschaft der Sinti und Roma organisiert werden.

Von 2001 bis 2003 wurde von einem hamburger Architektenbüro eine Machbarkeitsstudie durchgeführt. Nachdem 2002 ein Grundstück gefunden war, wurde die erste Planung für die Siedlung erstellt. Sie sah ein Angerdorf vor, bei dem sich Doppel- und Reihenhäuser mit den Wohnungen sowie ein Gemeinschaftshaus um einen zentralen Platz gruppierten. Der Plan sah vor, dass die künftigen Bewohner ihren Eigenanteil im genossenschaftlichen Selbsthilfemodell als "Muskelhypothek" einbrachten. Dabei konnten sie gleichzeitig eine Qualifizierungsmöglichkeit als Bauhelfer bekommen. 2005 waren die wesentlichen Weichen gestellt, nachdem die Investitionsbank des Landes die Finanzierung sicher gestellt hatte und die Genossenschaft Maro Temm eG gegründet war.

Allerdings geriet das ganze Projekt in Gefahr, als sich 2006 zeigte, dass der Kostenrahmen mit der vorliegenden Planung nicht eingehalten werden konnte und die Genossenschaft mehrfach am Rande der Insolvenz stand. In dieser Situation musste das gesamte Projekt neu geplant werden. Man trennte sich vom Architektenbüro und an dessen Stelle trat die Wankendorfer Baugenossenschaft eG. Deren Planung sah statt des Angerdorfes eine Zeilenbauweise aller 13 Häuser als Reihenhaussiedlung vor.

Im Februar 2007 konnte dann der Erbbauvertrag zwischen der Stadt Kiel und der Maro Temm eG geschlossen werden. Ein Viertel Jahr später war schließlich, nach einer achtjährigen Vorbereitungs- und Planungsphase, die Grundsteinlegung. Nach sieben weiteren Monaten, wenige Tage vor Weihnachten 2007 waren die Häuser fertig gestellt.

Bilder[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Ein Wohnprojekt mit Sinti in Kiel Studentische Studienarbeit der HafenCity Universität Hamburg, 2014. Abgerufen am 06. Juni 2022
  2. Begriffserläuterungen bei zentralrat.sintiundroma.de, abgerufen am 7. Juni 2022