Stadtdörfer

Aus Kiel-Wiki
Bauer mit Pferdefuhrwagen auf einer Landstraße in Schleswig-Holstein um 1927

Die Stadtdörfer[1] waren im Mittelalter und in der Neuzeit Dörfer[2], die der gesamten Bürgerschaft gehören und ihre Beiträge zur Stadtkasse entrichteten. Als eigentliche Stadtdörfer waren sie Bestandteil der Kämmereieinkünfte.
Ebenfalls als Stadtdörfer im weiten Sinne bezeichnet wurden Dörfer, die Pfarrkirchen, Klöster und anderen Stiften, Hospitäler und Armenhäusern, Schulen und Universitäten gehörten und ihren Sitz in einer Stadt hatten.

Ein Stadtdorf besaß vordem ein Landesherr oder eine Adelsfamilie und gehörte zu einem Lehn oder - im Zuge der Entwicklung der Grund- zur Gutsherrschaft - zu einem adligen Gut.[3], das dann gestiftet oder verkauft wurden. Die Motivation war zugleich religiös (Sicherung des eigenen Seelenheils) und wirtschaftlich oder politisch.Referenzfehler: Ungültige Verwendung von <ref>: Der Parameter „name“ ist ungültig oder zu lang.

Heute wird der Begriff Stadtdorf selten verwendet für ein lokal bedeutendes Dorf oder mit mehr als 2000 Einwohner (Großdorf).[4]

Manche Stadtteile und Stadtwohngebiete werden ebenfalls als „Stadtdorf“ bezeichnet: sei es durch die Entwicklungsgeschichte der Ortsteile; sei es, dass sie ihren dörflichen und (vermeintlich) idyllischen Charakter bewahren oder durch bauliche Stadtentwicklung (wieder-) herzustellen. Man versucht, die "dörflichen Merkmale" - wie naturnahes Wohnen, wohnortnahe Nahversorgungs- und Dienstleistungsangebote, Einrichtungen der sozialen, bildungs- und freizeitbezogenen Infrastruktur, Nachbarschaftsbeziehungen - mit den schnellen Verbindungen mit der Innenstadt und mit den Arbeitsorten zu verknüpfen. So z. B. „Meimersdorf und Moorsee Wir planen das StadtDorf“ in Kiel.[5].

Ehemalige Kieler Stadtdörfer

Die Kieler Stadtdörfer waren ab Ende des 13. Jahrhundert Bauerndörfer oder Teile ihrer Ländereien, die durch Kauf und Schenkung vorrangig in das Treuhandeigentum der Stadt Kiel kamen. Deren Erträge dienten zur Finanzierung der Armenpflege. Laut Friedrich Volbehr folgenden Stadtdörfer in "Verzeichniß der Namen Collegii E. E. Rath auch der deputirten Bürgerschaft Collegii XVI r und XXXII r zum Kiel" aufgeführt[6]:

Von den sechzehn bekannten Stadtdörfer (mit dem Hof Hammer und Demühlen) sind neun davon heute Kieler Stadtteile:

  • Kopperpael (Kopperpahl im heutigen Kronshagen) scheint das erste Stadtdorf zu sein. Der Rat der Stadt Kiel kaufte es im Jahr 1297 für das Heiligengeisthospital „mit Allmosen frommer Leute“ von den Gebrüdern Gerhard und Lüder von Bremen.[7]
  • Welgendorp (Wellendorf, heute Wellingdorf) erwarb 1315 der Stadtrat mit der Hölzungen ‘Brook‘ für das Heiligengeisthospital vom dem Burgmann Conrad von Bremen.[8], vermutlich ein Burglehn als Entlohnung für seinen Dienst in der Kieler Burg.[9]
  • In dem selben Jahr und im Jahr 1334 kaufte der Kieler Rat Teile des Dorfes Kronshagen für das Heiligengeisthospital.
  • Das Dorf Wiegk (Wyk, heute Wik) schenkte im Jahr 1317 Graf Johann II. der Einäugige (* 1253; † 1321) dem Heiligengeisthospital „zur Erlösung seiner Seelen“.[10]
  • 1338 wurde dem Ritter Johann von Wahlthrop seine Hälfte des Burglehns Moersehe (heute Moorsee) von der Stadt abgekauft.[11][Anm. 1]
  • Ebenfalls ein Burglehn war das Dorf Haßsehe (Hertese, Hartsehm, heute Hassee): Teile davon schenkte Graf Johann III der Milde (* um 1297; † 27. September 1359) dem Heiligengeisthospital „zur Erlösung seine Seelen“. Der Ritter Timm Emken überließ einen anderen Teil 1348 dem Hospital.[12]
  • Das Burglehn Dorf Schönkerke (Sconekerken, heute Schönkirchen) wurde 1356 von Iven Reventlow (* um 1320, † um 1391) für das Heiligengeisthospital verkaufte.[13]
  • Von dem Dorf Schwarzenbeke (das spätere Schwartenbek im heutigen Suchsdorf) verkaufte Wulf von Hagen 1352 sein Teil an dem Kieler Magistrat zur Stiftung einer Vikarie der Kapelle St. Gertrud. 1358 vermachte der Dorfbürgermeister Otto Enendorp einen Hof des Dorfes „den Armen“ in Kiel.[14]
  • Gremerstorff (Gremersdorf) im Land Oldenburg (Ostholstein) verkaufte die sechs Brüder von Siggen 1377 an das Heiligengeist- und das [[St. Jürgen-Kirche|St. Jürgenhospital. Als entfernteste Stadtdorf liegt es nicht in der Umgebung Kiels.
  • Der Erbpachthof Hof Hammer (Hamere), wahrscheinlich ursprünglich ein Dorf, war im 14. Jahrhundert an die Kieler Stiftungen gekommen. In einer Urkunde vom Jahre 1469 bestätigte der Herzog von Holstein, der dänische König und Christian I., dem Heiligengeisthospital den Besitz des Hofes.[15]
  • Diricksstorpff (Dietrichsdorf) und Mönnekeberge (Mönkeberg) hatte der Rat der Stadt Kiel für die Heiligengeist- und St. Jürgen-Stiftungen von den Gebrüdern Wahlstorf und Hennecke Rantzau im Jahr 1420 gekauft, vermutlich unter Vorbehalt des Rückkaufs.
    Claus Rantzau forderte die Rückgabe, die aber de Stadt Kiel verweigerte. Bis 1494 blieben diese Güter im Besitz der Stiftungen. Rantzau erwirkte 1465 die Genehmigung des Königes Christian I. , die Streitsache vor dem Landtag zu bringen, der 1494 die beiden Dörfer gegen Zahlung von 800 Mark Rantzau zusprach.[16]
  • Boecksehe (Buckze, heute Boksee) und Barkow (Borkowe, Deutsch Boksee, heute Klein-Barkau) verkaufte der Knappe Eggert Muggel 1447 an das Heiligengeisthospital. Ein Teil des jetzigen Kirchbarkau wurde 1459 von dem Magistrat des Stadt Kiel an die Vorsteher der Kirche zu Barkau verkauft. Der mit besonderen Privilegien versehenen Hof Boksee ist um 1667 in Beziehung zur Stadt Kiel gekommen, die jedoch wieder gelöst wurden.[17]
  • Die letzten Erwerbungen für das Heiligengeisthospital waren um 1452 durch den Ankauf von Rußsehe (Russee) mit Devemöhlen (Demühlen) und Oddendorff (Ottendorf), die im Besitz von Klaus und Kai Rantzau waren.[18]
  • Teile von Gahrden (Dorfgarten) mit dem Dorf Wulwesbok (Fürstlich Gaarden) verkaufte 1462 Marquard Wulf an das St. Jürgenkloster (das Kieler Anteil von Gaarden, heute Gaarden-Süd).[19]

Laut Johann von Schröder (+1793, † 1862) sind in seiner "Topographie des Herzogthums Holstein, des Fürstenthums Lübek und der freien und Hanse-Städte Hamburg und Lübek" (1841) die folgende Dörfer bzw, Teile der Dörfer:

  • Bei von Schröder war Brunswik vormals ein „adeliges Dorf“. Aber es kann auch sein, dass es sich um ein Burglehn des Ritters Nicolaus Split in der Nähe des Bauerndorfes Brunswik handelte. Im Jahre 1350 schenkte Split von seinen Gütern den Kielern einen Platz vor dem Dänisches Tor für einem Friedhof und die Stadt Kiel stiftete dort eine Kapelle.[20]

Im Jahre 1444 überließ Otto Wulfsen von Pogwisch (*1382, † 1448), der nach von Schröder einen Teil des Dorfes besaß, von seinen drei Höfen dem Kieler Rat "... anderthalb, für eine gewisse Geldsumme, zum Besten der Kieler Armen.“[21]

  • Im Jahr 1356 verkaufte Iven Reventlow die Wassermühle, gelegen im Katendorf und heutigen Neumühlen an das Heiligengeisthospital.
  • Das Dorf Sucksdorf (auch Suxtorp geschrieben) verkaufte die Familie von der Wisch im Jahr 1366 an die Kieler Ratherren Detlev Gripp und Claus Hargen.[22]. Das Dorf wurde in den von Volbehr erwähnten Verzeichniß der Namen Collegii E. E. Rath auch der deputirten Bürgerschaft Collegii XVIr und XXXIIr zum Kiel nicht aufgeführt, somit war Suchsdorf - zumindest nicht anfangs - kein im weiteren Sinne Stadtdorf eines der Kieler Hospitäler gewesen. Man weiß auch nicht, ob es ein eigentliches Stadtdorf für die gesamte Kieler Bürgerschaft war oder nur Eigentum der zwei Stadtherren vor der Erwähnung in dem Permutationkontrakt (s.u.).

Nach der Gründung der Kieler Universität stammten die Finanzierungsmittel aus den Erträgen der Dörfer des Amtes Bordesholm, die man auch im weiten Sinn Stadtdörfer und Universitätsdörfer nannten.[23], u. a. die im Permutationsvertrag (s.u) genannten Dörfer Rumor (heute Rumohr) Milekendorff (heute (Mielkendorf), Molfsee, Foordt (Voorde), Lütjen und Großen Flindbeck (Vlintbeke, heute Flintbek) und Byßee (heute Bissee)[24]

Die Rolle der Stadtdörfer in der Kieler Armenpflege

Die Armenpflege [25] wurde im Mittelalter hauptsächlich von der Kirche organisiert und durchgeführt. Trägerschaft dieser Wohlfahrtspflege waren im Kiel insbesondere die Hospitäler[26] des Kieler Klosters (Heiligengeisthospital) und der St. Jürgen-Kirche, aber auch das St. Annen und Erasmi und Neugasthaus.[27][Anm. 2]

Zu den Armen, die gepflegt und versorgt wurden[28], zählten im Mittelalter nicht nur Menschen, dessen Lebensumständen im materiellen Sinn existenziell bedrohlich und dessen (nach heutigen Definition) Einkommen unterdurchschnittlich waren (der größte Bevölkerungsanteil). Armut [29] bezog sich auch unabhängig von ihren Einkommen Witwen, Waisen, Kranken und alte Menschen, die Anspruch auf die Armenpflege und -versorgung hatten. Die Kranken- und Altenpflege war anfangs ein Teil der Armenpflege.

Im Spätmittelalter verlagerte sich die Finanzierung dieser milden Stiftungen der Armenpflege der Kirchen und Klöster auf die Städte und Gemeinden: die Verwaltung der Stadtdörfer im weiteren Sinne lag in den „treuen Händen“ des Rates der Stadt Kiel.
Die mit der Reformation einhergehende Säkularisation der Klöster hatte zur Folge, dass die bisher von den Ordensgemeinschaften geleisteten karitativen Arbeiten verlagert wurden. Aus den mittelalterlichen Hospitäler entwickelten sich in der Frühen Neuzeit einerseits die eigentliche Armenhäuser, die auch in Kiel mit Waisenhaus, Gefängnis, Krankenhaus und Arbeitshaus gekoppelt waren[30]. Zum anderen entstanden kirchliche und weltliche Altenheime, die als „Stift“ bezeichnet wurden und werden, in Kiel z. B. der Kaiser Wilhelm I. Stift.

Die Einkünfte und Nutzungen der Stadtdörfer, ihre Erträge aus den Holzungen (Bau-und Brennholz, Schweinemast), aus den Fischereien mit Seen und Teiche, aus dem Gärten und Ländereien (u.a. Getreide Obst und Gemüse, Verpachtung von Wiesen und Weiden, Torfgewinnung aus Mooren) sollten für die Pfarrkirchen, die Stiften und Armenhäuser, für die dort lebenden Armen, Alten und Kranken verwendet werden.
. Der Erträge der Stadtdörfer wurden für die Besoldung von Kirchen-, Schul- und Stadtdiener, die in der Armenpflege tätig waren wie bspw. der Armenvogt, verwendet.
Zusätzlich erhielten bzw. nahmen Bürgermeister, Ratsherren und andere Bürger Bezüge für ihre Verwaltungstätigkeiten, z- B. als Inspektor und Vorsteher eines Hospitals.[31]

Für die ehemaligen Stadtdörfer änderten sich die Besitzverhältnisse durch die Pachtverträge und den Permutatíonskontrakt (1667): aus diesem Vertrag zahlt bis heute das Land Schleswig-Holstein als Rechtsnachfolger jährlich 1000,23 € an das Kieler Stadtkloster.[32]

Anmerkungen

  1. Von Schröder (ebd., S. 131 erwähnt, dass ‘‘Peter Berser‘‘ die andere Hälfte des Burglehns gehörte.
  2. Armenklöster sagte man in Kiel für die Hospitäler und Armenhäuser nach der Reformatiom, bspw. in den Schleswig-Holsteinische Provinzialberichte 1793 (book.google). Vermutlich durch ihre Verlegung auf das Gelände des ehemaligen Franziskanerklosters ging die Bezeichnung „Klöster“ auf die Hospitäler über, die in Urkunde erwähnt werden (Heiligengeistkloster, St. Jürgenkloster, St. Annen und Erasmi-Kloster und Neugasthauskloster), obwohl sie keine Klöster waren. Heute erinnert der Name der Stiftung Kieler Stadtkloster daran (siehe [https://www.stadtkloster.de/de/stiftung/geschichte.html Geschichte der Stiftung)

Einzelnachweise

  1. Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm Leipzig 1854-1961,Band 17, Sp. 450 bis 451
  2. Wikipedia: „Dorf“
  3. Wikipedia: „Adliges Gut“
  4. Online-Lexikon der Geographie, Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2001
  5. Bereichsplanung Kieler Süden auf kiel.de, abgerufen am 22. Juni 2019
  6. Friedrich Volbehr, Zur Geschichte der ehemaligen Kieler Stadtdörfer in: Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte Heft 2 , Schmidt und Klaunig Kiel 1879, S.3 ff.
  7. Siehe auch Johannes von Schröder, Topographie des Herzogthums Holstein, des Fürstenthums Lübek und der freien und Hanse-Städte Hamburg und Lübek, Zweiter Theil J-Z, C. Fränckel Oldenburg (in Holstein) 1841, S. 47
  8. Siehe auch von Schröder ebd,, Zweiter Theil, S. 452
  9. Wikipedia: „Lehnswesen“
  10. Siehe auch von Schröder ebd,, Zweiter Theil, S. 464 f.
  11. Siehe auch von Schröder ebd,, Zweiter Theil, S. 131
  12. Siehe auch von Schröder ebd., Erster Theil, S. S. 282
  13. Siehe auch von Schröder ebd,, Zweiter Theil, S. 326. Nach anderen Quellen verkaufte Iven Reventlou sein Grundstück im Dorf Schonkirchen, das er als Mitgift für seine Ehefrau erwarb, weil der Graf Johann III. der Milde und sein Sohn Adolf VII. der Milde (* um 1327, † 26. Januar 1390) das Dorf dem Heiligengeisthospital schenkten (Datenbank mit Informationen zur Familie Reventlow Database med oplysninger om slægten Reventlow)
  14. Siehe auch von Schröder ebd,, Zweiter Theil, S. 338
  15. von Schröder ebd., Erster Theil, S.268
  16. Siege auch von Schröder ebd., Erster Theil, S.144 (Dietrichsdorf) und Zweiter Theil, S. 125 (Mönkeberg)
  17. von Schröder ebd., Erster Theil, S. 37 und S.67
  18. von Schröder ebd,, Zweiter Theil, S. 213 (Ottendorf) und S. 298 (Russee)
  19. Siehe von Schröder ebd., Erster Theil, S. 202
  20. Wilhelm Ernst Christiani, Geschichte der Herzogthümer Schleswig und Hollstein, Dritter Theil, Band 3, S. 451 (books.google)
  21. von Schröder ebd., Erster Theil, S.144 (Brunswik)
  22. von Schröder ebd,, Zweiter Theil, S. 393. t
  23. Krünitz ebd., S. 592
  24. Volbehr ebd., S. 19
  25. Wikipedia: „Armenpflege“
  26. Wikipedia: „Hospital“
  27. Schleswig-Holsteinische Provinzialberichte 1793 Siebenten Jahrgang erster Band, Leipzig bei J- F- Hammerich 1793, S. 304 ff. (book.google)
  28. Wikipedia: „Armenversorgung“
  29. Wikipedia: „Armut“; Wikipedia: „Armut im geschichtlichen_Wandel: Mittelalter“
  30. Wikipedia: „Armenhaus“
  31. Schleswig-Holsteinische Provinzialberichte 1793 ebd., S.306 (book.google); Volbehr ebd., S. 3 ff.
  32. Geschichte der Stiftung Kieler Stadtkloster, abgerufen am 3. Juli 2019