Bearbeiten von „Zeitzeugen Matrosen– und Arbeiteraufstand 1918/1919“
Aus Kiel-Wiki
Die Bearbeitung kann rückgängig gemacht werden. Bitte prüfe den Vergleich unten, um sicherzustellen, dass du dies tun möchtest, und veröffentliche dann unten deine Änderungen, um die Bearbeitung rückgängig zu machen.
Aktuelle Version | Dein Text | ||
Zeile 19: | Zeile 19: | ||
:''Popp: Ja, wer war denn der Soldatenrat, die kannten einander ja kaum. Das waren doch keine von vornherein politisch ausgerichteten Leute. Ich habe dann noch den Fehler gemacht, da war ein Soldat dabei, den ich persönlich kannte. Den habe ich gerufen, den haben sie dann mitgewählt. Das war mit die grösste Dummheit, die es gab. das war ein schauerliches Mannsbild. Wir kannten einander ja kaum. Da war doch keine Rede davon. Ich weiß gar nicht, wie viele Soldatenräte es damals gab. Da in der Ecke wählten sie einen, da einen, da einen. Die richtigen Soldatenräte, das organisatorische, das gab’s doch erst, nachdem ich das organisiert hatte. Das waren doch wilde Geschichten. Kuhl: Haben Sie nicht versucht, zu verhindern, dass Noske gewählt wurde? Popp: Ja, warum denn? Ja, ich konnte doch die SPD nicht ausschalten! Hören Sie doch mal zu! Nun gehen Sie mal, wenn Sie einer sind, und die anderen sind zehn, wollen Sie die ausschalten die zehn? Wie machen Sie das? Kuhl: Man kann es doch auf alle Fälle versuchen. Popp: Nee, das ist ja putschen Menschenskind!'' | :''Popp: Ja, wer war denn der Soldatenrat, die kannten einander ja kaum. Das waren doch keine von vornherein politisch ausgerichteten Leute. Ich habe dann noch den Fehler gemacht, da war ein Soldat dabei, den ich persönlich kannte. Den habe ich gerufen, den haben sie dann mitgewählt. Das war mit die grösste Dummheit, die es gab. das war ein schauerliches Mannsbild. Wir kannten einander ja kaum. Da war doch keine Rede davon. Ich weiß gar nicht, wie viele Soldatenräte es damals gab. Da in der Ecke wählten sie einen, da einen, da einen. Die richtigen Soldatenräte, das organisatorische, das gab’s doch erst, nachdem ich das organisiert hatte. Das waren doch wilde Geschichten. Kuhl: Haben Sie nicht versucht, zu verhindern, dass Noske gewählt wurde? Popp: Ja, warum denn? Ja, ich konnte doch die SPD nicht ausschalten! Hören Sie doch mal zu! Nun gehen Sie mal, wenn Sie einer sind, und die anderen sind zehn, wollen Sie die ausschalten die zehn? Wie machen Sie das? Kuhl: Man kann es doch auf alle Fälle versuchen. Popp: Nee, das ist ja putschen Menschenskind!'' | ||
Zum vollständigen Dokument mit allen weiteren bisher bekannten Aussagen im Anhang: [ | Zum vollständigen Dokument mit allen weiteren bisher bekannten Aussagen im Anhang (PDF): [[Datei:kuhl_streitgespraech-m-l-popp_1978_plus-weitere-interv-u-gespraeche.pdf]]. | ||
=== Karl Artelt === | === Karl Artelt === | ||
Zeile 36: | Zeile 36: | ||
:''Zur Frage warum Noske in Kiel relativ freie Hand erhielt, nahm Artelt in den 1960er Jahren auf Fragen von Angehörigen der Volksmarine wie folgt Stellung (nach Robert Rosentreter, "Blaujacken im Novembersturm", Dietz Verlag, 1988, S. 250 f.): Karl Artelt hat auf diesbezügliche Fragen von Angehörigen der Volksmarine immer wieder betont, dass ihm und anderen Genossen die Rolle Noskes durch dessen Verhalten erst nach und nach bewußt geworden wäre. Artelt selbst und andere ... hätten zwar gewußt, dass Noske zu den rechten Kräften in der Partei gehörte, ihn aber doch immerhin als sozialistischen Parteifunktionär angesehen und gehofft, dass er in der Revolution eine den Arbeitern nützliche Politik machen würde, keineswegs hätte jemals jemand gedacht, dass er bereit sein könnte, auf Arbeiter schießen zu lassen ....'' | :''Zur Frage warum Noske in Kiel relativ freie Hand erhielt, nahm Artelt in den 1960er Jahren auf Fragen von Angehörigen der Volksmarine wie folgt Stellung (nach Robert Rosentreter, "Blaujacken im Novembersturm", Dietz Verlag, 1988, S. 250 f.): Karl Artelt hat auf diesbezügliche Fragen von Angehörigen der Volksmarine immer wieder betont, dass ihm und anderen Genossen die Rolle Noskes durch dessen Verhalten erst nach und nach bewußt geworden wäre. Artelt selbst und andere ... hätten zwar gewußt, dass Noske zu den rechten Kräften in der Partei gehörte, ihn aber doch immerhin als sozialistischen Parteifunktionär angesehen und gehofft, dass er in der Revolution eine den Arbeitern nützliche Politik machen würde, keineswegs hätte jemals jemand gedacht, dass er bereit sein könnte, auf Arbeiter schießen zu lassen ....'' | ||
== Mannschaftsangehörige Marine, untere Dienstgrade == | == Mannschaftsangehörige Marine, untere Dienstgrade == | ||
Zeile 51: | Zeile 44: | ||
:''Es war einstimmig beschlossen worden, keinen Vorstoß zu machen, das hatten wir durchgesetzt. Am anderen Mittag fuhren wir nach Kiel. Auf der Fahrt hatten wir die vollen Beweise, daß doch etwas geplant war. So liegen wir jetzt im Kieler Hafen. Übrigens kam eine Verfügung vom Flottenchef, die besagte, daß unsere Beunruhigung jeder Grundlage entbehre. Heute haben sie in aller Heimlichkeit 80 Mann wie die schwersten Verbrecher an Land gebracht, so daß wir es leider zu spät erfuhren, schon jetzt in Untersuchung. Zu uns sagten die Offiziere, abkommandiert nach den Außenforts, wegen zu lange an Bord. Das wird wohl nicht so vorüber gehen, die Sache kommt sicher vor den Reichstag. Man kann hier allerhand erwarten. Also wundere Dich nicht, wenn mir etwas gleichartiges passiert. Jedenfalls kämpfen wir für den Frieden, für unser Leben, und wollen keinen Heldentod. Solche Vorgänge hat die Flotte noch nicht gesehen.'' | :''Es war einstimmig beschlossen worden, keinen Vorstoß zu machen, das hatten wir durchgesetzt. Am anderen Mittag fuhren wir nach Kiel. Auf der Fahrt hatten wir die vollen Beweise, daß doch etwas geplant war. So liegen wir jetzt im Kieler Hafen. Übrigens kam eine Verfügung vom Flottenchef, die besagte, daß unsere Beunruhigung jeder Grundlage entbehre. Heute haben sie in aller Heimlichkeit 80 Mann wie die schwersten Verbrecher an Land gebracht, so daß wir es leider zu spät erfuhren, schon jetzt in Untersuchung. Zu uns sagten die Offiziere, abkommandiert nach den Außenforts, wegen zu lange an Bord. Das wird wohl nicht so vorüber gehen, die Sache kommt sicher vor den Reichstag. Man kann hier allerhand erwarten. Also wundere Dich nicht, wenn mir etwas gleichartiges passiert. Jedenfalls kämpfen wir für den Frieden, für unser Leben, und wollen keinen Heldentod. Solche Vorgänge hat die Flotte noch nicht gesehen.'' | ||
Zu den vollständigen Dokumenten, die auch die Diskussionen unter den Mannschaften und mit den Offizieren enthält, als das III. Geschwader nach Travemünde weiterfuhr und dort vor Anker ging, sowie einen Vergleich mit den Aussagen des Wachoffiziers Karl von Kunowski und des 1. Offiziers Wilfried von Loewenfeld: [ | Zu den vollständigen Dokumenten, die auch die Diskussionen unter den Mannschaften und mit den Offizieren enthält, als das III. Geschwader nach Travemünde weiterfuhr und dort vor Anker ging, sowie einen Vergleich mit den Aussagen des Wachoffiziers Karl von Kunowski und des 1. Offiziers Wilfried von Loewenfeld (PDF): [[Datei:bock_brief-bericht_1918-1957_plus-anhang.pdf]]. | ||
Zeile 60: | Zeile 53: | ||
:''Und so marschierten wir in die Feldstraße und zwar bis zum langen Segen, ... Und da war eine Kette gezogen von Schutzleuten, Schutzleuten von der blauen Schutzmannschaft in Kiel. ... Wie der Zug nun kam, wurden die Schutzleute sofort blitzartig aufgerieben und die türmten in den Langen See hinein. Und dann ging der Leutnant Steinhäuser vor uns vorweg zu der Spitze des Zuges, das war ein unheimlich langer Zug gewesen, man sprach von 20.000 Mann. ... Und dann ging der Leutnant Steinhäuser vorweg und mahnte, sie sollten vorsichtig sein, sie sollten zurückgehen und sofort und so weiter und dann ist ein Schuss gefallen. Woher der Schuss gekommen ist, kann ich Ihnen nicht sagen, man hat einmal festgestellt, der Schuss soll von uns aus gekommen sein. Ich kann es nicht bestreiten, ich glaube es aber nicht. Ich glaube eher, dass er aus der Menge gekommen ist, die waren ja alle bewaffnet schon.<ref group="A">Nach der detaillierten Analyse der Vorgänge gab Steinhäuser Feuerbefehl, wobei die Rekruten fast alle in die Luft schossen. Nach nochmaligem Feuerbefehl schossen sie in Panik auf die erneut anstürmenden Demonstranten und flohen dann, wobei Steinhäuser allein zurückblieb. Ein Polizeimeister und der in der Nähe weilende Marineoffizier Karl Weiß kamen ihm zu Hilfe. Alle drei wurden schwer verletzt.</ref> Jedenfalls wurden wir überrumpelt. Der Leutnant Steinhäuser kriegte, soweit ich das mitbekommen habe, einen mit dem Kolben über den Schädel und er wurde dann in dieses Lokal neben dem Stadtcafe hineingeschleppt und wir waren der Meinung, sie hätten ihn totgeschlagen.'' | :''Und so marschierten wir in die Feldstraße und zwar bis zum langen Segen, ... Und da war eine Kette gezogen von Schutzleuten, Schutzleuten von der blauen Schutzmannschaft in Kiel. ... Wie der Zug nun kam, wurden die Schutzleute sofort blitzartig aufgerieben und die türmten in den Langen See hinein. Und dann ging der Leutnant Steinhäuser vor uns vorweg zu der Spitze des Zuges, das war ein unheimlich langer Zug gewesen, man sprach von 20.000 Mann. ... Und dann ging der Leutnant Steinhäuser vorweg und mahnte, sie sollten vorsichtig sein, sie sollten zurückgehen und sofort und so weiter und dann ist ein Schuss gefallen. Woher der Schuss gekommen ist, kann ich Ihnen nicht sagen, man hat einmal festgestellt, der Schuss soll von uns aus gekommen sein. Ich kann es nicht bestreiten, ich glaube es aber nicht. Ich glaube eher, dass er aus der Menge gekommen ist, die waren ja alle bewaffnet schon.<ref group="A">Nach der detaillierten Analyse der Vorgänge gab Steinhäuser Feuerbefehl, wobei die Rekruten fast alle in die Luft schossen. Nach nochmaligem Feuerbefehl schossen sie in Panik auf die erneut anstürmenden Demonstranten und flohen dann, wobei Steinhäuser allein zurückblieb. Ein Polizeimeister und der in der Nähe weilende Marineoffizier Karl Weiß kamen ihm zu Hilfe. Alle drei wurden schwer verletzt.</ref> Jedenfalls wurden wir überrumpelt. Der Leutnant Steinhäuser kriegte, soweit ich das mitbekommen habe, einen mit dem Kolben über den Schädel und er wurde dann in dieses Lokal neben dem Stadtcafe hineingeschleppt und wir waren der Meinung, sie hätten ihn totgeschlagen.'' | ||
Zum vollständigen Dokument, mit den genannten Interviews und Berichten inklusive eines Kommentars von Klaus Kuhl: [ | Zum vollständigen Dokument, mit den genannten Interviews und Berichten inklusive eines Kommentars von Klaus Kuhl (PDF): [[Datei:kleineweber_interviews_1960er-und-70er-jahre.pdf]]. | ||
=== Alfred Schwabe === | === Alfred Schwabe === | ||
Zeile 69: | Zeile 62: | ||
:''Als ich mit Matrosen der grossen Schlachtschiffe, der Kreuzer und der immer in See stehenden Torpedoboote bekannt wurde, spürte ich dass dort ein anderer Wind wehte, als auf unserem U-Boot. Bei uns war des ganze Boot auf jeden Einzelnen angewiesen, von Offiziersdrill war nichts zu spüren. Aber das furchtbare Völkermorden hatten wir trotzdem satt, die Sehnsucht nach Frieden war vorherrschend. Als ich auf Urlaub kam, kannte ich meine Eltern kaum noch, so abgemagert und verbissen waren sie, und wir versenkten im Mittelmeer Schiffe und wieder Schiffe, gefüllt mit Lebensmitteln aus Amerika. ... Am Morgen ... erhielt unser Lehrgang, es waren gegen 40 Maate und 10 Obermatrosen, Pistolen und Munition ausgehändigt. Wir marschierten nach der Werftdivision Kiel - Wik. ... Wir marschierten diagonal über den Exerzierplatz. An der rechten Ecke am Hafen standen 150 - 200 Matrosen bei einer Versammlung. Wir wurden in die Turnhalle geführt. Ein junger Leutnant hatte das Kommando und hielt eine Ansprache. Heldentum und Treue zu den Offizieren, Kampf gegen die Meuterer war der Inhalt. ... Minuten war es kirchenstill. Plötzlich ein Gebrüll von weit her, aber es kam näher und näher. "Achtung, Ächtung! Pistolen laden und sichern!“ Im Flüsterton bei den Obermatrosen: "wir schiessen nicht, wir schiessen nicht“. Gegenzug rechts! Marsch! Zur Turnhalle hinaus!“ Wir Obermatrosen waren am Schluss des Zuges und somit den anstürmenden teils bewaffneten Matrosen am nächsten. Es waren die, welche die Versammlung auf dem Exerzierplatz durchführten. Etwa 10 mtr vor der Menge liefen 2 Matrosen und riefen uns zu: "Kameraden werft die Waffen weg oder kommt mit den Waffen zu uns, schiesst nicht auf Eure Kameraden. Nieder mit dem Krieg! Nieder mit den Kriegsphantasten!“ Achtung! Achtung! Feuer, brüllte unser Leutnant. Eine Anzahl Schüsse fielen, aber ich habe nicht gesehen, dass einer getroffen war. Ich war nicht einen Moment unschlüssig; schon zogen wir die anderen zu uns herüber bezw. hinüber. „Los rüber, Schiet op den Krieg! Ein Teil der Maate schloss sich an. Es fielen wieder Schüsse von unserem linken Flügel der Maate oder dem Leutnant; denn 2 übergelaufene Maate waren getroffen und wurden fortgetragen. Der Leutnant war aber plötzlich spurlos von der Bildfläche verschwunden und hat nie wieder in Kiel unseren Bug gekreuzt. Wir, der verstärkte Haufen, rannten nun in die Kasernenblocks, riefen den Matrosen unsere Parolen zu und forderten sie auf, uns zu folgen. Viele schlossen sich an, ein Teil verhielt sich passiv. Offiziere waren eigentlich wenig da und die anwesenden wurden teils mit Güte, teils mit Gewalt, abgetakelt, d. h. die Epauletten und die Kokarden abgemacht. Und so ging es etwa 15 Häuserblocks durch, der Haufen wurde immer grösser und grösser. Leider waren aber auch schon die Räuber am Werk; denn aus den Kleiderkammern und Magazinen stürzten gefüllte Seesäcke aus den oberen Etagen und wurden fortgeschleppt. Aber das liess uns z.Z. kalt. Wir stürmten weiter. Nachdem alle Kasernenbauten abgekämmt waren, eilten wir an die Hafenmole. Zwei Torpedoboote wurden durch Schüsse und Zurufe aufgefordert die rote Flagge zu hissen. Es waren die ersten Schiffe, welche in Kiel die rote Flagge am Mast hochzogen. Leider sind mir die Nummern entfallen. Viele Boote folgten; Pinassen fuhren mit roter Heckflagge zu den dicken Kasten und forderten sie auf sich uns anzuschliessen. Starkbesetzte Boote brachten immer mehr revolutionäre Truppen an Land. Mein Wohnschiff, der älteste Kasten der Marine SMS "Mars“ (Bordwände aus Holz) hatte 1866 gegen die Dänen mitgekämpft, setzte sich lange zur Wehr. 2 rote Matrosen mit weisser Parlamentärflagge wurden zum Verhandeln an Bord geschickt und erreichten, dass doch eindrucksvoll die Kriegsflagge gestrichen wurde und die rote Flagge am Mast hochging. Ein grosser Teil der Matrosen zog durch die Strassen von Kiel und es erfolgte eine systematische Entwaffnung der Offiziere. Das Abtackeln war manchen Matrosen eine wahre Wollust, konnten sie sich doch für Drill und Erniedrigungen rächen.'' | :''Als ich mit Matrosen der grossen Schlachtschiffe, der Kreuzer und der immer in See stehenden Torpedoboote bekannt wurde, spürte ich dass dort ein anderer Wind wehte, als auf unserem U-Boot. Bei uns war des ganze Boot auf jeden Einzelnen angewiesen, von Offiziersdrill war nichts zu spüren. Aber das furchtbare Völkermorden hatten wir trotzdem satt, die Sehnsucht nach Frieden war vorherrschend. Als ich auf Urlaub kam, kannte ich meine Eltern kaum noch, so abgemagert und verbissen waren sie, und wir versenkten im Mittelmeer Schiffe und wieder Schiffe, gefüllt mit Lebensmitteln aus Amerika. ... Am Morgen ... erhielt unser Lehrgang, es waren gegen 40 Maate und 10 Obermatrosen, Pistolen und Munition ausgehändigt. Wir marschierten nach der Werftdivision Kiel - Wik. ... Wir marschierten diagonal über den Exerzierplatz. An der rechten Ecke am Hafen standen 150 - 200 Matrosen bei einer Versammlung. Wir wurden in die Turnhalle geführt. Ein junger Leutnant hatte das Kommando und hielt eine Ansprache. Heldentum und Treue zu den Offizieren, Kampf gegen die Meuterer war der Inhalt. ... Minuten war es kirchenstill. Plötzlich ein Gebrüll von weit her, aber es kam näher und näher. "Achtung, Ächtung! Pistolen laden und sichern!“ Im Flüsterton bei den Obermatrosen: "wir schiessen nicht, wir schiessen nicht“. Gegenzug rechts! Marsch! Zur Turnhalle hinaus!“ Wir Obermatrosen waren am Schluss des Zuges und somit den anstürmenden teils bewaffneten Matrosen am nächsten. Es waren die, welche die Versammlung auf dem Exerzierplatz durchführten. Etwa 10 mtr vor der Menge liefen 2 Matrosen und riefen uns zu: "Kameraden werft die Waffen weg oder kommt mit den Waffen zu uns, schiesst nicht auf Eure Kameraden. Nieder mit dem Krieg! Nieder mit den Kriegsphantasten!“ Achtung! Achtung! Feuer, brüllte unser Leutnant. Eine Anzahl Schüsse fielen, aber ich habe nicht gesehen, dass einer getroffen war. Ich war nicht einen Moment unschlüssig; schon zogen wir die anderen zu uns herüber bezw. hinüber. „Los rüber, Schiet op den Krieg! Ein Teil der Maate schloss sich an. Es fielen wieder Schüsse von unserem linken Flügel der Maate oder dem Leutnant; denn 2 übergelaufene Maate waren getroffen und wurden fortgetragen. Der Leutnant war aber plötzlich spurlos von der Bildfläche verschwunden und hat nie wieder in Kiel unseren Bug gekreuzt. Wir, der verstärkte Haufen, rannten nun in die Kasernenblocks, riefen den Matrosen unsere Parolen zu und forderten sie auf, uns zu folgen. Viele schlossen sich an, ein Teil verhielt sich passiv. Offiziere waren eigentlich wenig da und die anwesenden wurden teils mit Güte, teils mit Gewalt, abgetakelt, d. h. die Epauletten und die Kokarden abgemacht. Und so ging es etwa 15 Häuserblocks durch, der Haufen wurde immer grösser und grösser. Leider waren aber auch schon die Räuber am Werk; denn aus den Kleiderkammern und Magazinen stürzten gefüllte Seesäcke aus den oberen Etagen und wurden fortgeschleppt. Aber das liess uns z.Z. kalt. Wir stürmten weiter. Nachdem alle Kasernenbauten abgekämmt waren, eilten wir an die Hafenmole. Zwei Torpedoboote wurden durch Schüsse und Zurufe aufgefordert die rote Flagge zu hissen. Es waren die ersten Schiffe, welche in Kiel die rote Flagge am Mast hochzogen. Leider sind mir die Nummern entfallen. Viele Boote folgten; Pinassen fuhren mit roter Heckflagge zu den dicken Kasten und forderten sie auf sich uns anzuschliessen. Starkbesetzte Boote brachten immer mehr revolutionäre Truppen an Land. Mein Wohnschiff, der älteste Kasten der Marine SMS "Mars“ (Bordwände aus Holz) hatte 1866 gegen die Dänen mitgekämpft, setzte sich lange zur Wehr. 2 rote Matrosen mit weisser Parlamentärflagge wurden zum Verhandeln an Bord geschickt und erreichten, dass doch eindrucksvoll die Kriegsflagge gestrichen wurde und die rote Flagge am Mast hochging. Ein grosser Teil der Matrosen zog durch die Strassen von Kiel und es erfolgte eine systematische Entwaffnung der Offiziere. Das Abtackeln war manchen Matrosen eine wahre Wollust, konnten sie sich doch für Drill und Erniedrigungen rächen.'' | ||
Zum vollständigen übertragenen und kommentierten Dokument: [ | Zum vollständigen übertragenen und kommentierten Dokument (PDF): [[Datei:schwabe_manuskript_1950-60.pdf]]. | ||
== | == Mannschaftsangehörige Marine, mittlere Dienstgrade == | ||
=== Fritz Fabian === | === Fritz Fabian === | ||
Fritz Fabian (geb. 1887) kam aus Oberschlesien und diente während des Ersten Weltkriegs als Unteroffizier auf SMS „Kronprinz Wilhelm“. In seinen Revolutionserinnerungen, verfasst vermutlich in den 1920er Jahren, beschreibt er die Ereignisse von Ende 1918 bis etwa 1920. Das Dokument wurde von einem Nachfahren in EUROPEANA eingestellt und von Klaus Kuhl transkribiert (ein Teil wurde auch von Axel Klekers transkribiert) und kommentiert. Der Schreiber hatte ein konservatives und nationalistisches Werteverständnis. Viele der berichteten Details halten einer Überprüfung nicht stand. Fabian versuchte – auch wenn er den Seeoffizieren (eher indirekt) mangelndes Durchgreifen vorwarf, ein positives Bild von ihnen zu zeichnen. In einer mehr nebensächlichen Anmerkung kommt jedoch ganz grundsätzliche Kritik zum Vorschein: | Fritz Fabian (geb. 1887) kam aus Oberschlesien und diente während des Ersten Weltkriegs als Unteroffizier auf SMS „Kronprinz Wilhelm“. In seinen Revolutionserinnerungen, verfasst vermutlich in den 1920er Jahren, beschreibt er die Ereignisse von Ende 1918 bis etwa 1920. Das Dokument wurde von einem Nachfahren in EUROPEANA eingestellt und von Klaus Kuhl transkribiert (ein Teil wurde auch von Axel Klekers transkribiert) und kommentiert. Der Schreiber hatte ein konservatives und nationalistisches Werteverständnis. Viele der berichteten Details halten einer Überprüfung nicht stand. Fabian versuchte – auch wenn er den Seeoffizieren (eher indirekt) mangelndes Durchgreifen vorwarf, ein positives Bild von ihnen zu zeichnen. In einer mehr nebensächlichen Anmerkung kommt jedoch ganz grundsätzliche Kritik zum Vorschein: | ||
Zeile 95: | Zeile 70: | ||
:''Bei dieser Gelegenheit [Überführung des III. Geschwaders nach Kiel ohne dass die Offiziere sich an der Schiffsführung beteiligen durften] mag wohl manchem jungen Offizier die Erkenntnis gekommen sein, daß es nicht allein nur tüchtige Offiziere, sondern auch hervorragend tüchtige U.O. [Unteroffiziere] gab, deren Tüchtigkeit und Fähigkeit aber nie in gerechter Weise eingeschätzt wurden. […] Wäre dieser Dünkel nicht vorhanden gewesen und wäre die Selbstüberhebung der jüngeren Offiziere nicht systematisch genährt worden, ich glaube, das Seeoffizierkorps und überhaupt die ganze Marine hätte sich vielleicht besser dabei gestanden. Ich erwähne das nur so nebenher.'' | :''Bei dieser Gelegenheit [Überführung des III. Geschwaders nach Kiel ohne dass die Offiziere sich an der Schiffsführung beteiligen durften] mag wohl manchem jungen Offizier die Erkenntnis gekommen sein, daß es nicht allein nur tüchtige Offiziere, sondern auch hervorragend tüchtige U.O. [Unteroffiziere] gab, deren Tüchtigkeit und Fähigkeit aber nie in gerechter Weise eingeschätzt wurden. […] Wäre dieser Dünkel nicht vorhanden gewesen und wäre die Selbstüberhebung der jüngeren Offiziere nicht systematisch genährt worden, ich glaube, das Seeoffizierkorps und überhaupt die ganze Marine hätte sich vielleicht besser dabei gestanden. Ich erwähne das nur so nebenher.'' | ||
Zum vollständigen übertragenen und kommentierten Dokument | Zum vollständigen übertragenen und kommentierten Dokument (PDF): [[Datei:Fabian revolutionserinnerungen 1924 kommentiert.pdf]]. | ||
== Marineoffiziere == | == Marineoffiziere == | ||
=== Karl von Kunowski === | === Karl von Kunowski === | ||
Karl von Kunowski (1897–1991) war Fähnrich und Wachoffizier (WO) auf der „Markgraf“. Er schrieb seine Erlebnisse vermutlich noch 1918 auf. Später wohnte er in Flintbek bei Kiel und war Professor an der Kieler Universität. Er übergab sein Typoskript, das er betitelte: “Erinnerungen an: Die letzten Tage der Kaiserlichen Marine1918, beim III. Geschwader auf SMS Markgraf als wachhabender Offizier“, 1978 an [[Dirk Dähnhardt]], siehe Nachlass im [[Stadtarchiv]]. | Karl von Kunowski (1897–1991) war Fähnrich und Wachoffizier (WO) auf der „Markgraf“. Er schrieb seine Erlebnisse vermutlich noch 1918 auf. Später wohnte er in Flintbek bei Kiel und war Professor an der Kieler Universität. Er übergab sein Typoskript, das er betitelte: “Erinnerungen an: Die letzten Tage der Kaiserlichen Marine1918, beim III. Geschwader auf SMS Markgraf als wachhabender Offizier“, 1978 an [[Dirk Dähnhardt]], siehe Nachlass im [[Stadtarchiv]]. | ||
Zeile 158: | Zeile 107: | ||
:''Ich persönlich jedenfalls war damals in Schleswig, in Schloss Gottorf. Erst bei unserem Abmarsch aus Schleswig wurde uns gesagt, dass in Kiel ein Aufstand sei. Und nun sollten wir, woll'n mal sagen da als ... ... den Aufstand (niederwerfen). Wir konnten uns auch nicht vorstellen, ob das nun Arbeiter sind oder Soldaten sind, wussten wir ja nicht. Wir sind losgefahren, verladen und haben Munition und Gewehre empfangen. Und wenn das nun tatsächlich hart auf hart gekommen wäre, dann wäre das ja so gekommen, wir hätten ein Kommando gekriegt: "Ausschwärmen!" und müssen schießen auf unsere eigenen Leute. ... kamen wir mit dem Zug nicht mehr in Kiel rein. Der Bahnhof war besetzt von Matrosen – soweit ich gehört habe – und die hielten den Zug an, so bei der Lübecker Chaussee. Jedenfalls kamen Verschiedene nicht wieder. Aber das waren ältere Soldaten. Ob die nun orientiert waren? [Nikolaus Andersen beschreibt in seinem Tagebuch, wie Soldaten des Schleswiger Infanterieregiments im Bahnhof ankamen und sich dort mit den Aufständischen verbrüderten; siehe unten.] Wir waren ja meistens junge Rekruten. Die Ausbilder waren alte verwundete Frontsoldaten. Die scheinen mehr gewusst zu haben. Jedenfalls waren Verschiedene, die gar nicht wieder mit zurückfuhren. Wir kamen nicht raus. Wir konnten natürlich aus dem Zug aussteigen, aber was wollten wir machen. Es wurde nicht irgendwie kommandiert "Sammeln!" und "Marschieren!" oder so, das wurde nicht getan. Der Zug fuhr wieder zurück. Wir sind nachts wieder in Schleswig angekommen.'' | :''Ich persönlich jedenfalls war damals in Schleswig, in Schloss Gottorf. Erst bei unserem Abmarsch aus Schleswig wurde uns gesagt, dass in Kiel ein Aufstand sei. Und nun sollten wir, woll'n mal sagen da als ... ... den Aufstand (niederwerfen). Wir konnten uns auch nicht vorstellen, ob das nun Arbeiter sind oder Soldaten sind, wussten wir ja nicht. Wir sind losgefahren, verladen und haben Munition und Gewehre empfangen. Und wenn das nun tatsächlich hart auf hart gekommen wäre, dann wäre das ja so gekommen, wir hätten ein Kommando gekriegt: "Ausschwärmen!" und müssen schießen auf unsere eigenen Leute. ... kamen wir mit dem Zug nicht mehr in Kiel rein. Der Bahnhof war besetzt von Matrosen – soweit ich gehört habe – und die hielten den Zug an, so bei der Lübecker Chaussee. Jedenfalls kamen Verschiedene nicht wieder. Aber das waren ältere Soldaten. Ob die nun orientiert waren? [Nikolaus Andersen beschreibt in seinem Tagebuch, wie Soldaten des Schleswiger Infanterieregiments im Bahnhof ankamen und sich dort mit den Aufständischen verbrüderten; siehe unten.] Wir waren ja meistens junge Rekruten. Die Ausbilder waren alte verwundete Frontsoldaten. Die scheinen mehr gewusst zu haben. Jedenfalls waren Verschiedene, die gar nicht wieder mit zurückfuhren. Wir kamen nicht raus. Wir konnten natürlich aus dem Zug aussteigen, aber was wollten wir machen. Es wurde nicht irgendwie kommandiert "Sammeln!" und "Marschieren!" oder so, das wurde nicht getan. Der Zug fuhr wieder zurück. Wir sind nachts wieder in Schleswig angekommen.'' | ||
Zu den vollständigen Interviews: [ | Zu den vollständigen Interviews (PDF): [[Datei:kuhl_interviews-j-pump_1978-1987.pdf]]. | ||
<!-- .... | |||
== Heeresoffiziere == | == Heeresoffiziere == | ||
--> | |||
== ArbeiterInnen == | == ArbeiterInnen == | ||
Zeile 186: | Zeile 120: | ||
=== Gertrud Völcker === | === Gertrud Völcker === | ||
[[Datei:gertrud-voelcker_1950.jpg|150px|thumb|Gertrud Völcker 1950, Foto StAK/Nafzger.]] | [[Datei:gertrud-voelcker_1950.jpg|150px|thumb|Gertrud Völcker 1950, Foto StAK/Nafzger.]] | ||
Gertrud Völcker (1896–1979) war damals Angestellte im Arbeiter-Sekretariat der Freien Gewerkschaften in Kiel. Sie war seit 1915 Mitglied der Sozialistischen Arbeiterjugend. Später wurde sie Vorsitzende der Arbeiter Wohlfahrt (AWO) in Schleswig-Holstein. Im Jahr 1975 gab sie Karl-Reinhard Titzek und Tilmann Weiherich ein Interview, und vermutlich im selben Jahr wurde sich auch von Ute Kohrs interviewt. Dabei gewährte sie auch Einblick in ihr Tagebuch und es wurden Abschriften vorgenommen. | |||
Auszüge: | Auszüge: | ||
Zeile 193: | Zeile 127: | ||
:''Es war eine mutige Tat von ordentlichen Deutschen, die das Land nicht in einer noch größeren Krise haben wollten. Es waren ruhige Leute, es waren außerordentlich nette, bewusste und kluge Leute, die nachgedacht hatten. So seh ich die Jungens heute. Es war eine mutige Tat, die Zivilcourage erforderte, eine Revolte, keine Meuterei, und auch keine Revolution.'' | :''Es war eine mutige Tat von ordentlichen Deutschen, die das Land nicht in einer noch größeren Krise haben wollten. Es waren ruhige Leute, es waren außerordentlich nette, bewusste und kluge Leute, die nachgedacht hatten. So seh ich die Jungens heute. Es war eine mutige Tat, die Zivilcourage erforderte, eine Revolte, keine Meuterei, und auch keine Revolution.'' | ||
Zum vollständigen Dokument mit den Interviews, Auszügen aus ihrem Tagebuch und einer kurzen Biografie | Zum vollständigen Dokument mit den Interviews, Auszügen aus ihrem Tagebuch und einer kurzen Biografie (PDF): [[Datei:voelcker_interviews_1970er_tagebuch.pdf]]. | ||
== Mittelschicht == | == Mittelschicht == | ||
Zeile 248: | Zeile 138: | ||
:''Um 1 Uhr nach Hause, denn es war kalt. Kaum im Bett, erhebt sich ein mörderliches Schießen. Ich raus. Am Bahnhof menschenleer. Man schießt (angeblich aus dem Hansa-Hotel und zwar von Offizieren) auf die Soldaten. Das Hotel wird erheblich beschossen, desgl. mehre Häuser am Sophienblatt, so Uhrmacher Blunck u. Ecke Lerchenstraße gegenüber auch noch. Als es ruhig, gehe ich durch den Tunnel südl. am Bahnhof entlang. Ein Lastauto kommt Ringstr. u. wird mächtig beschossen von allen Seiten. Leider sind Matrosen die Insassen. Als das Schießen eingestellt ist, findet man einen Obermaat mit Beinschuß und einen Matrosen mit Brustschuß.'' | :''Um 1 Uhr nach Hause, denn es war kalt. Kaum im Bett, erhebt sich ein mörderliches Schießen. Ich raus. Am Bahnhof menschenleer. Man schießt (angeblich aus dem Hansa-Hotel und zwar von Offizieren) auf die Soldaten. Das Hotel wird erheblich beschossen, desgl. mehre Häuser am Sophienblatt, so Uhrmacher Blunck u. Ecke Lerchenstraße gegenüber auch noch. Als es ruhig, gehe ich durch den Tunnel südl. am Bahnhof entlang. Ein Lastauto kommt Ringstr. u. wird mächtig beschossen von allen Seiten. Leider sind Matrosen die Insassen. Als das Schießen eingestellt ist, findet man einen Obermaat mit Beinschuß und einen Matrosen mit Brustschuß.'' | ||
Weitere Auszüge und Hintergrundinformationen: [ | Weitere Auszüge und Hintergrundinformationen: [[Datei:Andersen_tagebuch-auszuege_1917-1919.pdf]]. | ||
Das vollständige Tagebuch mit einer Textanalyse wurde im Peter Lang Verlag veröffentlicht: Klaus Kuhl: Kiel und die Revolution von 1918. Das Tagebuch eines Werftingenieurs, verfasst in den Jahren 1917-1919. Edition und Textanalyse. Berlin 2018 (Kieler Werkstücke Bd. 51). ISBN 978-3-631-75857-1. | Das vollständige Tagebuch mit einer Textanalyse wurde im Peter Lang Verlag veröffentlicht: Klaus Kuhl: Kiel und die Revolution von 1918. Das Tagebuch eines Werftingenieurs, verfasst in den Jahren 1917-1919. Edition und Textanalyse. Berlin 2018 (Kieler Werkstücke Bd. 51). ISBN 978-3-631-75857-1. | ||
== | <!-- .... | ||
== Bekannte Politiker == | |||
===Gustav Noske === | ===Gustav Noske === | ||
--> | |||
== Anmerkungen == | == Anmerkungen == | ||
Zeile 279: | Zeile 155: | ||
<references/> | <references/> | ||
[[Kategorie:1911-1920]] [[Kategorie:Erster Weltkrieg]] [[Kategorie:Kieler | [[Kategorie:1911-1920]] [[Kategorie:Erster Weltkrieg]] [[Kategorie:Kieler Matrosenaufstand]] |