Bearbeiten von „Stadtdörfer“
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== Die Rolle der Stadtdörfer in der Kieler Armenpflege == | == Die Rolle der Stadtdörfer in der Kieler Armenpflege == | ||
Die Armenpflege<ref>{{WP|Armenpflege|Armenpflege}}; {{WP|Armenversorgung|Armenversorgung}}</ref> wurde im Mittelalter hauptsächlich von der Kirche organisiert und durchgeführt. Trägerschaft dieser Wohlfahrtspflege waren in Kiel insbesondere die Hospitäler<ref>{{WP|Hospital|Hospital}}</ref> des [[Kieler Kloster]]s ([[Heiligengeisthospital]]) und der [[St. Jürgen-Kirche]], aber auch das [[St. Annen und Erasmi]]-Kloster und das [[Neugasthaus]]kloster<ref>Schleswig-Holsteinische Provinzialberichte / Siebenten Jahrgangs / erster Band; Leipzig bei J. F. Hammerich 1793, S. 304 ff. ([https://books.google.de/books?id=Uc9CAAAAcAAJ&pg=PA304&lpg=PA304#v=twopage&q&f=false book.google])</ref> und das Hospital der [[Pestfriedhof|Gertrudenkapelle]].<ref group="Anm.">Armenklöster'' hießen in Kiel nach der Reformation die Hospitäler und Armenhäuser, bspw. in den Schleswig-Holsteinische Provinzialberichten 1793 ([https://books.google.de/books?id=Uc9CAAAAcAAJ&pg=PA304&lpg=PA304#v=twopage&q&f=false book.google]). Vermutlich durch ihre Verlegung auf das Gelände des ehemaligen Franziskanerklosters ging die Bezeichnung „Klöster“ auf die Hospitäler über, die in Urkunden erwähnt werden (Heiligengeistkloster, St. Jürgenkloster, St. Annen und Erasmi-Kloster bzw. St. Annenkloster und Neugasthauskloster), obwohl sie keine Klöster waren. Heute erinnert der Name der Stiftung [[Kieler Stadtkloster]] daran (siehe [https://www.stadtkloster.de/de/stiftung/geschichte.html Geschichte der Stiftung])</ref> | Die Armenpflege <ref>{{WP|Armenpflege|Armenpflege}}; {{WP|Armenversorgung|Armenversorgung}}</ref> wurde im Mittelalter hauptsächlich von der Kirche organisiert und durchgeführt. Trägerschaft dieser Wohlfahrtspflege waren in Kiel insbesondere die Hospitäler<ref>{{WP|Hospital|Hospital}}</ref> des [[Kieler Kloster]]s ([[Heiligengeisthospital]]) und der [[St. Jürgen-Kirche]], aber auch das [[St. Annen und Erasmi]]-Kloster und das [[Neugasthaus]]kloster<ref>Schleswig-Holsteinische Provinzialberichte / Siebenten Jahrgangs / erster Band; Leipzig bei J. F. Hammerich 1793, S. 304 ff. ([https://books.google.de/books?id=Uc9CAAAAcAAJ&pg=PA304&lpg=PA304#v=twopage&q&f=false book.google])</ref> und das Hospital der [[Pestfriedhof|Gertrudenkapelle]].<ref group="Anm.">Armenklöster'' hießen in Kiel nach der Reformation die Hospitäler und Armenhäuser, bspw. in den Schleswig-Holsteinische Provinzialberichten 1793 ([https://books.google.de/books?id=Uc9CAAAAcAAJ&pg=PA304&lpg=PA304#v=twopage&q&f=false book.google]). Vermutlich durch ihre Verlegung auf das Gelände des ehemaligen Franziskanerklosters ging die Bezeichnung „Klöster“ auf die Hospitäler über, die in Urkunden erwähnt werden (Heiligengeistkloster, St. Jürgenkloster, St. Annen und Erasmi-Kloster bzw. St. Annenkloster und Neugasthauskloster), obwohl sie keine Klöster waren. Heute erinnert der Name der Stiftung [[Kieler Stadtkloster]] daran (siehe [https://www.stadtkloster.de/de/stiftung/geschichte.html Geschichte der Stiftung])</ref> | ||
Zu den Armen und Bedürftigen zählten im Mittelalter nicht nur Menschen, deren Lebensumstände im materiellen Sinn existenziell bedrohlich und deren | Zu den Armen und Bedürftigen zählten im Mittelalter nicht nur Menschen, deren Lebensumstände im materiellen Sinn existenziell bedrohlich und deren (nach heutiger Definition) Einkommen unterdurchschnittlich war (der größte Bevölkerungsanteil). ''Armut'' <ref>{{WP|Armut|Armut}}; {{WP|Armut_im_geschichtlichen_Wandel#Mittelalter|Armut im geschichtlichen Wandel: Mittelalter}}</ref> bezog sich auch auf Bedürftige unabhängig von ihren Einkommen wie Witwen, Waisen, Kranke und alte Menschen, die Anspruch auf die Armenpflege und -versorgung hatten. Die Kranken- und Altenpflege war anfangs ein Teil der Armenpflege. | ||
Im Spätmittelalter verlagerte sich die Finanzierung dieser [[Stiftungen|milden Stiftungen]] der Armenpflege der Kirchen und Klöster auf die Städte und Gemeinden: Die Verwaltung der Stadtdörfer im weiteren Sinne lag in den „treuen Händen“ des Rates der Stadt Kiel.<br> | Im Spätmittelalter verlagerte sich die Finanzierung dieser [[Stiftungen|milden Stiftungen]] der Armenpflege der Kirchen und Klöster auf die Städte und Gemeinden: Die Verwaltung der Stadtdörfer im weiteren Sinne lag in den „treuen Händen“ des Rates der Stadt Kiel.<br> | ||
Die mit der Reformation einhergehende Säkularisation der Klöster hatte zur Folge, dass die bisher von den Ordensgemeinschaften geleisteten karitativen Arbeiten verlagert wurden. Aus den mittelalterlichen Hospitälern entwickelten sich in der Frühen Neuzeit einerseits die eigentlichen ''Armenhäuser'', die auch in Kiel mit Waisenhaus, Gefängnis, Krankenhaus und Arbeitshaus gekoppelt waren<ref>{{WP|Armenhaus|Armenhaus}}</ref>. Zum anderen entstanden kirchliche und weltliche Altenheime, die als „Stift“ bezeichnet wurden und werden, in Kiel z. B. das [[Kaiser Wilhelm I. Stift]] | Die mit der Reformation einhergehende Säkularisation der Klöster hatte zur Folge, dass die bisher von den Ordensgemeinschaften geleisteten karitativen Arbeiten verlagert wurden. Aus den mittelalterlichen Hospitälern entwickelten sich in der Frühen Neuzeit einerseits die eigentlichen ''Armenhäuser'', die auch in Kiel mit Waisenhaus, Gefängnis, Krankenhaus und Arbeitshaus gekoppelt waren<ref>{{WP|Armenhaus|Armenhaus}}</ref>. Zum anderen entstanden kirchliche und weltliche Altenheime, die als „Stift“ bezeichnet wurden und werden, in Kiel z. B. das [[Kaiser Wilhelm I. Stift]] | ||
Die Einkünfte und Nutzungen der Stadtdörfer, ihre Erträge aus den Holzungen (Bau-und Brennholz, Schweinemast), aus den Fischereien mit Seen und Teichen, aus den Gärten und Ländereien (u. a. Getreide | Die Einkünfte und Nutzungen der Stadtdörfer, ihre Erträge aus den Holzungen (Bau-und Brennholz, Schweinemast), aus den Fischereien mit Seen und Teichen, aus den Gärten und Ländereien (u. a. Getreide Obst und Gemüse, Verpachtung von Wiesen und Weiden, Torfgewinnung aus Mooren) sollten zweckgebunden für die Pfarrkirchen, die Stifte und Armenhäuser und für die Bedürftigen verwendet werden.<br> | ||
Darüber hinaus wurden die Erträge der Stadtdörfer für die Besoldung von Kirchen-, Schul- und [[Ratsdiener|Stadtdienern]] wie bspw. des [[Vogt|Armenvogts]] verwendet.<br> | Darüber hinaus wurden die Erträge der Stadtdörfer für die Besoldung von Kirchen-, Schul- und [[Ratsdiener|Stadtdienern]] wie bspw. des [[Vogt|Armenvogts]] verwendet.<br> | ||
Zusätzlich erhielten bzw. nahmen Bürgermeister, Ratsherren und andere Bürger Zulagen in Geld und Sachen für ihre Verwaltungstätigkeiten, z. B. als Konsul, Inspektor und Vorsteher eines Hospitals.<ref>Schleswig-Holsteinische Provinzialberichte 1793 ebd., S.306 ([https://books.google.de/books?id=Uc9CAAAAcAAJ&pg=PA306&lpg=PA306v=twopage&q&f=false book.google]); [https://archive.org/details/bub_gb_I9UOAAAAYAAJ/page/n53 Volbehr ebd., S. 3 ff.]</ref> | Zusätzlich erhielten bzw. nahmen Bürgermeister, Ratsherren und andere Bürger Zulagen in Geld und Sachen für ihre Verwaltungstätigkeiten, z. B. als Konsul, Inspektor und Vorsteher eines Hospitals.<ref>Schleswig-Holsteinische Provinzialberichte 1793 ebd., S.306 ([https://books.google.de/books?id=Uc9CAAAAcAAJ&pg=PA306&lpg=PA306v=twopage&q&f=false book.google]); [https://archive.org/details/bub_gb_I9UOAAAAYAAJ/page/n53 Volbehr ebd., S. 3 ff.]</ref> | ||
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''J. G. Krünitz'' (* 1728, † 1796) schrieb in seiner „''Ökonomisch-technologische Enzyklopädie''“, dass es Fälle gibt, „''…, wo die Magisträte Dörfer der piorum corporum ehedem an ihre Renteyen zu bringen gewußt haben; oder sie gehören ... ursprünglich zu den Stadt= und Raths=Kämmereyen.''“<ref>Krünitz ebd, S. 592</ref> | ''J. G. Krünitz'' (* 1728, † 1796) schrieb in seiner „''Ökonomisch-technologische Enzyklopädie''“, dass es Fälle gibt, „''…, wo die Magisträte Dörfer der piorum corporum ehedem an ihre Renteyen zu bringen gewußt haben; oder sie gehören ... ursprünglich zu den Stadt= und Raths=Kämmereyen.''“<ref>Krünitz ebd, S. 592</ref> | ||
Ein solcher Fall war die Verwaltung der Hospitäler, die willkürlich und vielfach | Ein solcher Fall war die Verwaltung der Hospitäler, die willkürlich und vielfach in eigenem Interesse des [[Magistrat|Kieler Rates]] geführt und die Einkünfte der Stadtdörfer zweckfremd verwendet wurden. | ||
Das | Das führten zu einem 20 Jahre lang anhaltenden Streit zwischen der Stadt Kiel und dem Herzog [[Adolf I.]] (* 1526, † 1586) und letztendlich zu der Abtretung der Stadtdörfer.<ref>[https://archive.org/details/bub_gb_I9UOAAAAYAAJ/page/n56 Volbehr ebd., S. 5 ff.]</ref> | ||
Der Machtverlust der Städte begann | Der Machtverlust der Städte begann seit Ende des 15. Jahrhunderts mit der stagnierenden Wirtschaft, der langsame Niedergang der [[Hansestadt Kiel|Hanse]] und die Erstarkung der landesherrlichen Territorialgewalten.<ref>{{WP|Hanse#Festigung_der_Macht_der_Territorialstaaten|Festigung der Macht der Territorialstaaten}}</ref><br> | ||
Im Verlauf des 16. und | Im Verlauf des 16. Jahrhunderts und frühen 17. Jahrhunderts gelang es den Schleswig-Holsteinischen Herzögen, die älteren Privilegien der Kiel Stadt und des Kieler Rates schrittweise abzubauen, so bspw. die Einschränkung der (freiwilligen) Selbstverwaltung der Armenpflege. Aus einer ''privilegierten Stadt'' wurde eine ''erbuntertänige Stadt''.<ref>{{WP|Kiel#Frühe_Neuzeit|Geschichte Kiels in der Frühen Neuzeit}}</ref> | ||
=== Vorgeschichte === | === Vorgeschichte === | ||
Im Hohen Mittelalter war der Rat der Stadt Kiel als Vertretung der Bürgerschaft die einzige Obrigkeit für die freien Bürger:<br> | Im Hohen Mittelalter war der Rat der Stadt Kiel als Vertretung der Bürgerschaft die einzige Obrigkeit für die freien Bürger:<br> | ||
Die Kaufmannssiedlung Kiel hatte durch ein Privileg des Grafen [[Johann I.]] (* um 1229, † 20. April 1263) lübisches Recht erhalten (1242) und der Kieler Rat durch ein Privileg des Grafen Johann III. der Milde u. | Die Kaufmannssiedlung Kiel hatte durch ein Privileg des Grafen [[Johann I.]] (* um 1229, † 20. April 1263) lübisches Recht erhalten (1242) und der Kieler Rat durch ein Privileg des Grafen Johann III. der Milde u. a. das Recht, einen Stadtvogt als städtischer Beamte zu ernennen statt eines herrschaftlichen Burgvogtes (1317). Damit war die Stadt aus dem gräflichen, später herzoglichen Gebiet herausgelöst und der Einfluss des Landesherren begann zu sinken. Die Landesherrschaft hatte niemanden mehr, der in ihrem Namen in der Stadt Kiel handelte. | ||
Der Rat übte alle öffentlichen Rechte in der Stadt und außerhalb der Stadt | Der Rat übte alle öffentlichen Rechte in der Stadt und außerhalb der Stadt in dem [[Stadtfeld]] und in den eigentliche Stadtdörfer aus, spätestens nach der Reformation auch in den Stadtdörfer der Hospitäler.<br> | ||
Als "''geschlossener politischer Organismus''" berührte sich die Stadt Kiel und | Als "''geschlossener politischer Organismus''" berührte sich die Stadt Kiel und ihrer nahen Umgebung mit den freien Bürgern, Handwerker, Höker, Bauern und Tagelöhner nur durch den Kieler Rat mit der öffentlichen Gewalt des Landesherren. | ||
In der mittelalterlichen Stadt Kiel war die Wahl der Ratsherren durch die freien Bürger noch unbekannt. Der Rat war der einzige, der den Bürgern Befehle erteilen konnte, die Ratsherren (der "''Stadtadel''") waren die Herren der Stadt und wurden als ''domini'' bezeichnet. Sie bezogen zwar kein Gehalt, doch waren ihnen viele nutzbare Rechte vorbehalten.<ref>[https://archive.org/details/mitteilungender00stadgoog/page/n24 Carl Rodenberg, Aus dem Kieler Leben im 14. und 15. Jahrhundert in Mittheilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte, Zwölftes Heft, Kiel 1894, S. 14.ff.]</ref> | In der mittelalterlichen Stadt Kiel war die Wahl der Ratsherren durch die freien Bürger noch unbekannt. Der Rat war der einzige, der den Bürgern Befehle erteilen konnte, die Ratsherren (der "''Stadtadel''") waren die Herren der Stadt und wurden als ''domini'' bezeichnet. Sie bezogen zwar kein Gehalt, doch waren ihnen viele nutzbare Rechte vorbehalten.<ref>[https://archive.org/details/mitteilungender00stadgoog/page/n24 Carl Rodenberg, Aus dem Kieler Leben im 14. und 15. Jahrhundert in Mittheilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte, Zwölftes Heft, Kiel 1894, S. 14.ff.]</ref> | ||
Aber die Einnahmen sanken, u. | Aber die Einnahmen sanken, u. a. durch den endgültigen Ausschluss aus der Liste der Hansestädte im Jahr 1518. Die Kieler Rat fand ein Ersatz in dem Einkünften der Stifte mit ihren Stadtdörfer. Die Ratsherren nutzen sie für die Kieler Stadtkämmerei und für ihre eigene Interessen. | ||
Zugleich allerdings nahm die Zahl der Bedürftigen zu. Die Missstände brachten die Bürgerschaft auf und sie forderten | Zugleich allerdings nahm die Zahl der Bedürftigen zu. Die Missstände brachten die Bürgerschaft auf und sie forderten Kontrolle der Finanzverwaltung, Abschaffung der Ratsprivilegien und [[Magistrat#Erste_Bürgervertretungen_in_der_Stadt|Beteiligung an der Stadtregierung]].<ref>[https://archive.org/details/bub_gb_I9UOAAAAYAAJ/page/n56 Volbehr ebd, S. 5 ff.]; [https://www.stadtkloster.de/de/stiftung/geschichte.html Geschichte der Stiftung Kieler Stadtkloster], abgerufen am 3. Juli 2019</ref> | ||
=== | === Streit zwischen dem Kieler Rat und Herzog Adolf I. und die Pachtkontrakte === | ||
Diese Beschwerden und Forderungen nutzte Herzog Adolf I., seine Landesherrschaft politisch und ökonomisch zu festigen. Er wurde als vielseitiger, unternehmerischer Fürst beschrieben, der u. | Diese Beschwerden und Forderungen nutzte der Herzog Adolf I., seine Landesherrschaft politisch und ökonomisch zu festigen. Er wurde als vielseitiger, unternehmerischer Fürst beschrieben, der u. a. das [[Kieler Schloss|Schloss Kiel]] im Renaissancestil umgestalten ließ, aber er klagte oft über die Armut seines Herzogtums.<ref>Christian Degn, Schleswig-Holstein ‘‘eine Landesgeschichte‘‘, Wachholtz Verlag Neumünster 2. Auflage 1995. S. 116</ref>. So muss man davon ausgehen, dass er sich selbst in Besitz der Stadtdörfer zu setzen wollte gegenüber der öffentlichen Gewalt einer Stadt.<ref>Das Folgende bezieht sich vorrangig auf [https://archive.org/details/bub_gb_I9UOAAAAYAAJ/page/n56 Volbehr ebd, S. 5 ff.]. Siehe auch Dr. Christian Kuß, XV. Neue Miscellen (Fortsezzeung), 20. Amt Kiel in: Dr, Nicolaus Falck, Neues staatsbürgerliches Magazin mit besonderer Rücksicht auf die Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg, Band 6, Schleswig 1837, gedruckt und verlegt im Königliche Taubstummen-Institut, S. 667 ff. ([https://books.google.de/books?id=usFCAAAAcAAJ&hl=de&pg=PA667#v=onepage&q&f=false books.googel.de])</ref> | ||
Seit 1543 forderte der Landesherr eine Rechnungslegung | Seit 1543 forderte der Landesherr eine Rechnungslegung von dem Kieler Rat. Er warf dem Rat vor, mit den geistlichen Lehen und anderen Güter ungebührlich umgegangen und Kirchen, Schulen, Stadtmauern und Feste verfallen zu haben. Die ‘‘policey‘‘, die ‘‘gute Ordnung‘‘, werde nicht mehr gehalten.<br> | ||
Der herzogliche Kanzler Dr. ''Adam Tratziger''<ref>{{WP|Adam_Tratziger|Adam Tratziger}}</ref> (* 1523; † 1584) berechnete den zum eigenen Vorteil des Kieler Rats verwendeten Betrag auf 100.000 Taler.<br> | Der herzogliche Kanzler Dr. ''Adam Tratziger''<ref>{{WP|Adam_Tratziger|Adam Tratziger}}</ref> (* 1523; † 1584) berechnete den zum eigenen Vorteil des Kieler Rats verwendeten Betrag auf 100.000 Taler.<br> | ||
Doch der Kieler Rat folgte den Befehl des Herzog nicht und wandte in einem Schreiben ein, dass | Doch der Kieler Rat folgte den Befehl des Herzog nicht und wandte in einem Schreiben ein, dass sie nicht durch Rechnungslegung verpflichtet sind und die Forderung die Privilegien der Stadt Kiel und des Kieler Rates einschränkt. | ||
Schließlich | Schließlich sandte der Herzog Adolf 1579 ein Beschwerdeschreiben über den Kieler Rat zu dem Kaiser ''Maximilian II.'' (* 1527, † 1576). Im Antwortschreiben des Kaisers am [[30. November]] [[1570]] hieß es, dass die Einkünfte und Nutzungrechte der Stadtdörfer nicht „privat Nutz“, sondern alleine für die Pfarrkirchen und den Armen Spitalhaus verwendet werden müssen: | ||
„''… Ir doch nit macht habet. … So bevehlen wir Euch hiemit aus Kayserlicher macht, gnedlich und Entlich das | „''… Ir doch nit macht habet. … So bevehlen wir Euch hiemit aus Kayserlicher macht, gnedlich und Entlich das Iraller und Jeder güeter Einkommen, so zu der Pfarrkirchen und dem Artmenhausbey Euch eigenthumblich gehörigm vorthin zu nichts anderen dann ainig zu der Kirchen und der Armen leut underhaltung und Nutz wendet, und es bei dem darzu es gestifftet beleiben lasset.''“ (zitiert nach Volbehr ebd., [https://archive.org/details/bub_gb_I9UOAAAAYAAJ/page/n58 S. 7]) | ||
Diese kaiserliche Schreiben und die erneute Aufforderung des Herzogs zur Rechnungslegung wurde im Mai 1571 dem Kieler Rat übergeben. | |||
In der ‘‘''Underthenige | In der ‘‘''Underthenige Resolution eines Ersamen Raths der Stad Kyell uff des Kays. und Fl. Mandat und Monitoriall''‘‘ schrieb der Kieler Rat, dass die Verwaltung der Stiftgüter ihm von Rechts wegen zusteht. Er verteidigte sich wider ihn erhobenen Beschuldigungen wie Unterschlagung von Brüch- und Strafgelder und Pachtzinsen. Die Verwaltung war in „''… „gebürlicher Ordnung und wie die seligen Vorfahren es gehalten“ … „daß sie bey dieser Armen Regierung die Sorge. Last und versäumnus getragen, als eigenthümliche Inhaber, gleich als ein Diener seinen Lohn, sich fürbehalten“, ...''“ (zitiert nach Volbehr ebd., [https://archive.org/details/bub_gb_I9UOAAAAYAAJ/page/n58 S. 8])<br> | ||
In dieser Resolution sah der Herzog aber keine Besserung und keine | In dieser Resolution sah der Herzog aber keine Besserung und keine richtigen Erklärung des Kieler Rates und drohte mit der Verlust der Kieler Privilegien. | ||
Nach 20 Jahren Widerstand schloss die Stadt Kiel schließlich 1572 den | Nach 20 Jahren Widerstand schloss die Stadt Kiel schließlich 1572 den erste, aus Sicht des Rates ungünstigen Pachtvertrag (Häuer Contract) mit dem Herzog ab:<br> | ||
Sämtliche Güter, Dörfer, Holzungen und mehr (die Stadtdörfer wurden nicht einzeln und namentlich aufgeführt) wurden auf 20 | Sämtliche Güter, Dörfer, Holzungen und mehr (die Stadtdörfer wurden nicht einzeln und namentlich aufgeführt) wurden auf 20 Jahren zur Miete an den Herzog von 800 lübsche Mark jährlich und Reallasten zusammen um 1200 Mark für den Unterhalt der Armen und den Kirchen- und Schuldiener.<br> | ||
Die Ansprüche und Anklagen gegen den Kieler | Die Ansprüche und Anklagen gegen den Kieler Rats und andere Bürgern werden fallen gelassen. Der Kieler Rat behält die Armenhäuser und der Herzog verspricht, dass er und seine Erben die beiden Armenhäuser im baulichen Stand zu erhalten. | ||
Nach Ablauf der 20 Jahre | Nach Ablauf der 20 Jahre, „… ''„wenn vor derenselben Ausgange kein ander Handel getroffen würde, das Eigenthum aller Güter bei dem Armen bleiben“ und dem Rath doe Administration wieder übergeben werden sollte.''“ (zitiert nach Volbehr ebd., [https://archive.org/details/bub_gb_I9UOAAAAYAAJ/page/n65 S. 12]) | ||
Das allerdings geschah niemals: | Das allerdings geschah niemals: die Stadtdörfer waren nur noch nominell Eigentum des Stadt, der Herzog Adolf und seine Nachfolger sahen sie als ihr Eigentum. | ||
Herzog [[Friedrich II.]] (* 21. April 1568; † 15. Juni 1587) | Der Herzog [[Friedrich II.]] (* 21. April 1568; † 15. Juni 1587) verschriebt seiner Mutter, die verwitweten ''Herzogin Christine'' (* 29. Juni 1543 in Kassel; † [[13. Mai]] [[1604]] in Kiel), die Kieler Stiftgüter als Leibrente.<br> | ||
Bei Ablauf der Vertragszeit im Jahr 1592 verlangte Herzog [[Johann Adolf]] (* 27. Februar 1575 ; † 31. März 1616) eine Verlängerung. Anfänglich wenig geneigt, war der Kieler Rat mit der Verlängerung für die Lebenszeit der fürstlichen Witwe, einverstanden, | Bei Ablauf der Vertragszeit im Jahr 1592 verlangte der Herzog [[Johann Adolf]] (* 27. Februar 1575 ; † 31. März 1616) eine Verlängerung. Anfänglich wenig geneigt, war der Kieler Rat mit der Verlängerung für die Lebenszeit der fürstlichen Witwe, einverstanden „…, jedoch mit der ausdrücklichen Bestimmung, daß bei deren Tode „ohne alle ferneren defficulteten“ dem vorigen Vertrag nachgelebt werden solle.“(Volbehr ebd., [https://archive.org/details/bub_gb_I9UOAAAAYAAJ/page/n65 S. 14])<br> | ||
Auch verlangte der Rat die Zusage von weiteren 400 Mark jährlich, | Auch verlangte der Rat die Zusage von weiteren 400 Mark jährlich, entrichtetete aus der Gottorfische Kammer „''wegen der Verwaltung der Hospitalsgütern''“.<br> | ||
Nach dem Tod der Herzogin Christine wurde jedoch der Pachtvertrag nochmals um 30 Jahre verlängert. | Nach dem Tod der Herzogin Christine wurde jedoch der Pachtvertrag nochmals um 30 Jahre verlängert. | ||
Der Kieler Rat versuchte erfolglos, günstige Bedingungen zu erlangen | Der Kieler Rat versuchte erfolglos, günstige Bedingungen zu erlangen wie den [[Hof Hammer]] und das Dorf Russee mit dem Russeer See oder statt dessen das Dorf Schönkirchen zurückzuerhalten. Dagegen wurde der Pachtzins auf 1000 Mark und gleichfalls Zulage von 1000 Mark. | ||
Herzog [[Christian Albrecht]] erneuerte den Pachtkontrakt 1663 auf 30 Jahre, In dieser Zeit wurde schon Kopperpahl | Herzog [[Christian Albrecht]] erneuerte den Pachtkontrakt 1663 auf 30 Jahre, In dieser Zeit wurde schon Kopperpahl zu dem Gut Kronshagen vereinigt, welches der herzogliche Kanzler Johann Adolph Kielmann von [[Kielmannsegg]] (* 15. Oktober 1612 in Itzehoe; † 8. Juli 1676 in Kopenhagen) erwarb. | ||
=== Permutationskontrakt des Herzogs Christian Albrecht === | === Permutationskontrakt des Herzogs Christian Albrecht === | ||
Verbunden mit seiner bedenklichen finanziellen Lage zwang der Herzog im Jahr 1667 die Stadt Kiel durch den sogenannten Permutations-Kontrakt, sämtliche Dörfer „''zu ewigen Zeit''“ mit „''… allen dazu mehr gehörigen Land und Leute ..., Recht und Gerechtigkeiten , …''“ | |||
Verbunden mit seiner bedenklichen finanziellen Lage zwang der Herzog im Jahr 1667 die Stadt Kiel durch den sogenannten Permutations-Kontrakt, sämtliche Dörfer „''zu ewigen Zeit''“ mit „''… allen dazu mehr gehörigen Land und Leute ..., Recht und Gerechtigkeiten , …'' “(Volbehr ebd., [https://archive.org/details/bub_gb_I9UOAAAAYAAJ/page/n70 S. 19]) abzutreten mit der Begründung, dass der eigentlich nur für bestimmte Zeit geschlossener Pachtkontrakt zu einen "''perpetuierliche Zustand''" geworden war. | |||
Damit waren die meistens Kieler Stadtdörfer nicht nur nominell ein Teil des Amtes Kiel, auch wenn sie in dem [[Kirchspiel Kiel]] eingepfarrt blieben. Der | Damit waren die meistens Kieler Stadtdörfer nicht nur nominell ein Teil des Amtes Kiel, auch wenn sie in dem [[Kirchspiel Kiel]] eingepfarrt blieben. Der jeweiligen Amtsmann war zuständig, die Zahlungen und Reallasten an das Stadtkloster, an der Nikolaikirche und Stadtschulen sowie die Zulagen in Geld und Sachen für die Bedürftigen, Lehren, Geistlichen und Kirchenbedienten zu entrichten. | ||
Zusätzlich sollte die Gottorper Kammer jährlich 1000 Reichstaler für den Kieler Rat und für die | Zusätzlich sollte die Gottorper Kammer jährlich 1000 Reichstaler für den Kieler Rat und für die Hosptiäler zahlen. | ||
Eine Sonderstellung hatte der [[Hof Hammer|Erbpachthof Hammer]]: | Eine Sonderstellung hatte der [[Hof Hammer|Erbpachthof Hammer]]: er blieb der "...''Kieler Stadtjurisdiction untergeben, aber von der Contribution und sonstigen städtischen Abgaben befreit; auch ist er militairfrei, hat weder Korn noch Fourage an die Regierung zu liefern und ist frei von Wegelasten. - Die Abgaben dieses Hofes bestehen außer den Schulgeldern in einem jährlichen Canon von 150 an die Kieler Stadtkämmerei Beim Besitzwechsel ist ein Laudemium von 5 Species Ducaten an den Kieler Magistrat zu erlegen.''" ([http://wiki-de.genealogy.net/Topographie_Holstein_1841/A-H/268 von Schröder ebd., Erster Theil, S.268]] | ||
Der Kieler | Der Kieler Rats übte zwar die Verwaltung der Hospitäler aus, aber (im heutigen Sprachgebrauch) als Pflichtaufgaben, meistens nach Weisung der herzoglichen Verwaltung. Der Kieler Rat bemängelte häufig die nicht erhaltenen Zahlungen. | ||
Als Schleswig-Holstein eine preußische Provinz geworden war, wurden die Zahlungen und Reallasten des Amtes Kiel durch den Gebiets- und Verwaltungreform des preußischen Staates durch den [[Kreis Kiel]] abgelöst, die man von etwa 66000 Reichsmark jährlich schätzen.<ref> [https://archive.org/details/bub_gb_I9UOAAAAYAAJ/page/n70 Volbehr ebd.,S. 19 ff.]</ref> | |||
Die zweckgebunden Einkünfte und Erträge der ehemaligen Stadtdörfer und der landesherrlichen Ämter Kiel, Kronshagen und Bordesholm übernimmt heute teils das Land Schleswig-Holstein wie z. | Die zweckgebunden Einkünfte und Erträge der ehemaligen Stadtdörfer und der landesherrlichen Ämter Kiel, Kronshagen und Bordesholm übernimmt heute teils das Land Schleswig-Holstein wie z. B. der Finanzierung der Kieler Universität. | ||
Aus dem Permutationskontrakt erhält das Kieler Stadtkloster bis heute von dem Land Schleswig-Holstein als Rechtsnachfolger jährlich 1000,23 | Aus dem Permutationskontrakt erhält das Kieler Stadtkloster bis heute von dem Land Schleswig-Holstein als Rechtsnachfolger jährlich 1000,23 €.<ref>[https://www.stadtkloster.de/de/stiftung/geschichte.html Geschichte der Stiftung Kieler Stadtkloster], abgerufen am 3. Juli 2019</ref> | ||
Die ''Kämmereieinkünfte'' der ehemaligen Stadtdörfer, die als Stadtteile und Teile | Die ''Kämmereieinkünfte'' der ehemaligen Stadtdörfer, die als Stadtteile und Teile der Stadtteile eingemeindet wurden, tragen heute mit Erträgen und Einnahmen (sowie Aufwendungen und Ausgaben) zu der städtischen Finanzwirtschaft (zuständig das [[Amt für Finanzwirtschaft]], vormalig die Stadtkämmerei) und damit u. a. zu der [[:Kategorie:Wohlfahrt|kommunale Sozial-, Jugend- und Gesundheitsverwaltung]] bei. | ||
== Anmerkungen == | == Anmerkungen == |